15.08.2016
REFUGIUM
Rat mit Erfahrung: Flucht und Gesundheit - Information und Multiplikation
Christine Färber, HAW Hamburg, Department Gesundheitswissenschaften
Schlagwörter:Geflüchtete, Gesundheitsbewusstsein, Gesundheitskompetenz, Integration, Multiplikator*innen
Deutschland ist das Zufluchtsland für mehr als eine Million geflüchtete Menschen. Sie benötigen Informationen über Gesundheit und Handlungskompetenzen um selbst ihre Gesundheit erhalten und wiederherstellen zu können. Durch die besondere Situation der Flucht, der Erstaufnahme und der Folgeunterbringung sowie der Sprachkenntnisse benötigen Geflüchtete als besondere Gruppe gezielte Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention. REFUGIUM ist ein Projekt der HAW Hamburg, Hochschule für angewandte Wissenschaften, Department Gesundheitswissenschaften.
Das Projekt REFUGIUM stärkt die Gesundheitsressourcen von Flüchtlingen in Unterkünften und aktiviert ihre Potenziale für Gesundheitsförderung und Prävention. Dafür werden Geflüchtete in Workshops ausgebildet, Gesundheitsinformationen in didaktisch aktivierender und partizipativer Form an Geflüchtete zu vermitteln.
Maßnahme: Ausbildung zur Multiplikatorin und zum Multiplikator
REFUGIUM bildet im Department Gesundheitswissenschaften der HAW Hamburg Geflüchtete als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Gesundheitsförderung und Prävention im Setting Fluchtunterkunft aus. Diese haben eine einschlägige Vorbildung (Gesundheitsberuf, pädagogischer Beruf) oder andere relevante, im Herkunftsland, auf der Flucht oder in Deutschland erworbene Kompetenzen. Interessierte Frauen und Männer werden in Unterkünften für Geflüchtete und über Flüchtlingsnetzwerke kontaktiert. Flüchtlinge werden durch Studierende der HAW Hamburg unter wissenschaftlicher Anleitung durch Prof. Dr. Christine Färber, Nita Kama, B.Sc. und Omar Aboelyazeid ausgebildet. Die Ausbildung erfolgte in 16 Unterrichtsstunden in vier Veranstaltungen. Die Teilnehmenden erhalten ein Zertifikat der HAW.
Inhaltliche Schwerpunkte und didaktisches Konzept
Das Programm ist modular aufgebaut. Die Teilmodule umfassen die Themen Ernährung, Bewegung, Psychische Gesundheit, Hygiene und lokale Gesundheitsversorgung. In der Ausbildung lernen die angehenden Multiplikatorinnen und Mulitplikatoren eine partizipative Auftaktphase zu moderieren, Informationen in beteiligungsorientierter Form mit den Teilnehmenden zu erarbeiten, Kernbotschaften stringent zu vermitteln, Anwendungsübungen anzuleiten und zur Umsetzung des Gelernten zu motivieren.
Materialien: Flyer und Manuale
Als Materialien wurden Gesundheitsinformationen in sieben Themenflyern (Ernährung, Bewegung, Psychische Gesundheit, Hygiene, Zahngesundheit, Versorgung in Hamburg, lokale Gesundheitsversorgung in Bergedorf) zusammengestellt. Diese richten sich direkt an Flüchtlinge und werden in Workshops ausgeteilt, die von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in Unterkünften durchgeführt werden. Zur Unterstützung der Durchführung der Workshops und als Hilfe für die Ausbildung wurden Manuale erstellt, die das didaktische und methodische Vorgehen erklären und als Leitfaden für die Durchführung von Workshops dienen. Flyer und Manuale liegen in den Sprachen Deutsch und Englisch sowie in Albanisch, Arabisch, Bulgarisch, Dari/Farsi, Russisch und Türkisch vor.
Partizipative Entwicklung des Programms
REFUGIUM wurde von September 2015 bis Juli 2016 an der HAW Hamburg von Prof. Dr. Christine Färber in der Lehrveranstaltung „Flüchtlingsgesundheit“ gemeinsam mit der Lehrbeauftragten Nita Kama entwickelt, die selbst eine Fluchtbiographie hat. Studierende mit Fluchterfahrung sowie drei Asylbewerberinnen und -bewerber als Gasthörer - Zeinab Behroozian, Allaeldin Hasan und Sammy Ojo - waren je ein Semester in die Arbeit einbezogen. Insgesamt nahmen mehr als 40 Flüchtlinge im Rahmen der Ausbildung an der Fertigstellung der Materialien und Konzepte teil. Die Teilmodule wurden mit Geflüchteten aus Wohnunterkünften in Hamburg im Januar 2016 getestet und in den Schulungen der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Mai 2016 fertiggestellt. So wurde sichergestellt, dass die vermittelten Informationen für Geflüchtete relevant, interessant und inhaltlich sowie sprachlich gut verständlich sind. Die Workshops wurden von den Teilnehmenden als aktivierend, informativ und interessant erlebt und machten allen Teilnehmenden Spaß.
Workshops für Geflüchtete
Die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sind qualifiziert, interaktive und aktivierende themenbezogene Gesundheitsworkshops für Geflüchtete durchzuführen. Ein Workshop zu einem Gesundheitsthema dauert 90 Minuten und kann in Unterkünften oder in geeigneten Veranstaltungsräumen durchgeführt werden. Im Workshop werden Informationen über Gesundheit in der Sprache der Geflüchteten durch die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren mündlich vermittelt. Die Vermittlung wird unterstützt durch geeignete Visualisierung. Darüber hinaus erhalten die Teilnehmenden gedruckte Themenflyer in ihrer Herkunftssprache. An einem Workshop können bis zu 15 Personen teilnehmen. Das Gelernte wird im Umfeld (Mitbewohnerinnen und Mitbewohner im Zimmer, Familienmitglieder) weitergetragen, so dass die Gesundheitsbotschaften pro Teilnehmerin und Teilnehmer mindestens drei weitere Geflüchtete erreichen, die von den Schulungen profitieren. Notwendig für die Durchführung eines Workshops ist ein Stuhlkreis, eine vorherige Terminvereinbarung und Ankündigung. Für den Workshop Psychische Gesundheit ist ein geschützter Raum notwendig. Die Workshops können auch als REFUGIUM Marktplatz angeboten werden. Dabei werden parallel ca. 60-minütige Gesprächskreise für Bewohnerinnen und Bewohner in mehreren Sprachen und zu verschiedenen Themen durchgeführt. Dafür sind mehrere Stuhlkreise erforderlich.
Herausforderungen und Erfahrungen
Von 55 interessierten Flüchtlingen bei der Informationsveranstaltung im April 2016 absolvierten 35 (24 Männer, 9 Frauen) im Mai 2016 die Ausbildung als REFUGIUM-Multiplikatorin/Multiplikator. Aufgrund des hohen Männeranteils in den Kursen und fehlender Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder, nahmen einige Frauen nicht an der Ausbildung teil. Bei den Workshops in den Unterkünften ist daher ein paralleles Kinderprogramm erforderlich. Die teilnehmenden Flüchtlinge und Studierenden unterstützen sich gegenseitig und profitieren voneinander, die Lernsituation war aktivierend, das erarbeitete Wissen wurde als relevant und hilfreich angesehen. Die Kooperation stellt einen wichtigen Beitrag zur Integration dar. Die Workshops in den Unterkünften wurden begeistert aufgenommen.Dennoch sind Vertrauensbildung und Werbung im Vorfeld wichtig. Hürden sind die Mehrsprachigkeit der Veranstaltungen, das Aufbereitung der mehrsprachigen Materialien, der Zugang zur Zielgruppe über die zuständigen Verwaltungsstrukturen und die Finanzierung der Materialien. Das Projekt entstand unter großem Zeitdruck und forderte von den Lehrenden und Studierenden viel Engagement. Jedes der erstellten Materialien ist verbesserungsfähig, inhaltlich wie sprachlich. Wichtig war es vor allem, grundlegendes Handlungswissen im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention niedrigschwellig und schnell an Geflüchtete zu vermitteln.
Übertragbarkeit
Die Flyer und Manuale sind in anderen Projekten und Programmen einsetzbar, die mit Geflüchteten oder besonders vulnerablen Einwanderungsgruppen arbeiten. Eine Anpassung an regionale und lokale Gegebenheiten kann erforderlich sein, insbesondere im Bereich „Versorgung“. Alle Materialien werden in Kooperation mit dem Budrich-Verlag im Internet zum kostenlosen Download veröffentlicht.
REFUGIUM wird durchgeführt in Zusammenarbeit mit der Patriotischen Gesellschaft von 1765 und gefördert von der Buhck-Stiftung, der Bürgerstiftung.
Weitere Informationen
- Funktionspostfach REFUGIUM: Kontakt per Mail
- Presseinformation zu REFUGIUM finden Sie hier.
- Die Website REFUGIUM: www.refugium.agency