22.01.2014
"Relative" Kinderarmut in Deutschland
Vorstellung des WSI-Berichtes "Wie relativ ist Kinderarmut" zum Zusammenhang zwischen Armutsrisiko und Mangel bei Kindern und Jugendlichen im regionalen Vergleich
Benedikt Linden, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung
Am 8. Januar 2014 wurde der 11. WSI-Bericht „Wie relativ ist Kinderarmut - Armutsrisiko und Mangel im regionalen Vergleich“ veröffentlicht. Der Bericht gibt erstmals differenziert nach unterschiedlichen Regionen Auskunft über die Entwicklung des Armutsrisikos von Kindern. Das Ergebnis: Es kann eine erhebliche regionale Varianz der Kinderarmut festgestellt werden. Während beispielsweise in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern mehr als ein Drittel der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren einkommensarm sind, leben nur knapp 10 Prozent der Gleichaltrigen in der Oberpfalz in Armut. Dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit von kommunalen Handlungskonzepten gegen Kinderarmut, wie sie in vielen Kommunen in Deutschland bereits umgesetzt werden und im Rahmen des Partnerprozesses "Gesund aufwachsen für alle!" unterstützt werden.
Armut schränkt die Lebenslage von Kindern nicht nur in materieller Hinsicht, sondern auch sozial, kulturell und gesundheitlich ein (z.B. AWO-ISS-Langzeitstudie).
Armutsdefinition und Mangel
Armutsdefinitionen sind relative Maße. Als „armutsgefährdet“ gilt nach gängiger wissenschaftlicher Definition, wer weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Diese „relativen“ Konzepte werden jedoch stellenweise in Frage gestellt. Geringe Einkommen bedeuten nicht automatisch gravierende Mängel bei materieller Ausstattung oder sozialer Teilhabe, so ein häufiges Argument, außerdem müssten regionale Unterschiede (z. B. im Preisniveau) beachtet werden. Die Studie „Wie relativ ist Kinderarmut“ von Eric Seils und Helge Baumann vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, untersucht deshalb die Entwicklung des Armutsrisikos von Kindern erstmals differenziert nach unterschiedlichen Regionen und stellt die konkreten materiellen und sozialen Folgen für die Betroffenen dar.
Datengrundlage: Mikrozensus 2012 und PASS 2011
Zwei statistische Quellen wurden ausgewertet: Eine Sonderauswertung des neuesten verfügbaren Mikrozensus´ aus dem Jahr 2012, mit Daten aus über 350.000 Haushalten, lieferte die Informationen zur absoluten Zahl von Armut bedrohter Kinder und zu den jeweiligen Armutsquoten. Die regionale Gliederung entspricht dabei 39 statistischen Regionen, die die (ehemaligen) Regierungsbezirken darstellen. Weiterhin haben die Forscher das Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS) für das Jahr 2011 ausgewertet. Diese Befragung aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) enthält Daten zur materiellen Ausstattung in Haushalten mit Kindern und ermöglicht somit eine Verknüpfung von „relativer“ Armut und konkretem Mangel.
Die regionale Lage
Durchschnittlich ist die Kinderarmutsquote in Ostdeutschland mit 26,3 Prozent deutlich höher als in Westdeutschland (17,3 Prozent), was auch die Informationsgrafik deutlich zeigt. Traurige Spitzenreiter stellen die Bezirke Bremen (33,7 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (33,5 Prozent) dar. Zusätzlich wird die erhebliche regionale Varianz der Kinderarmut daraus ersichtlich, dass z. B. in den genannten Regionen jedes dritte Kind in Armut lebt, die Regionen in Baden-Württemberg und Bayern jedoch vergleichsweise wenig von diesem Problem betroffen sind. So lebt in den (bayerischen) Regionen Oberbayern und Oberpfalz, Letztere stellt mit 9,9 Prozent die niedrigste Kinderarmutsquote, „lediglich“ rund jedes 10. Kind in einem armen Haushalt.
Die zeitliche Entwicklung
Im Zeitverlauf haben sich die Armutsrisikoquoten Ost- und Westdeutschlands deutlich angenähert. Dies ist auf die sinkende Quoten in den ostdeutschen Regionen zurückzuführen, während die Quoten Westdeutschlands stagnieren. Allerdings steht diesem positiven Bundestrend ein überdurchschnittlicher Anstieg der Kinderarmutsquoten in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens gegenüber, und auch die ostdeutschen Armutsquoten stagnieren bzw. steigen wieder leicht in den jüngsten Jahren.
Relative Armut - Absoluter Mangel
Die Folgen der Einkommensarmut wurden für die Bereiche Wohnen, Nahrung/Kleidung, langlebige
Verbrauchsgüter, soziale Aktivitäten und die finanzielle Situation betrachtet. Grundsätzlich zeigt sich, dass die Versorgungslage von Kindern in einkommensarmen Haushalten unabhängig vom Landesteil und den einzelnen Gütern schlechter als die der Kinder in der Gesamtbevölkerung ist. Weiterhin gibt es einige Güter (z.B eine Innentoilette oder ein Bad innerhalb der Wohnung) auf die auch arme Kinder nicht verzichten müssen. Neben diesen Ergebnissen, die kaum jemanden überraschen dürften, zeigt sich aber auch, dass der Mangel an konkreten Gütern in Ostdeutschland durchgängig höher ist als in Westdeutschland. Damit wird die Vorstellung widerlegt, relative Armut im Osten schlage wegen des geringeren Preisniveaus nicht so stark zu Buche. Erwähnenswert ist ebenfalls, dass dieser Mangel natürlich besonders die armen Kinder betrifft, aber nicht ausschließlich. Der Anteil aller Kinder, der in Haushalten ohne die abgefragten Güter lebt, ist im Osten fast durchgehend höher als im Westen. Dies zeigt die konkreten, materiellen Folgen des niedrigeren Lebensstandards im Osten.
Außerdem zeigen die Ergebnisse auch, das „relative“ Armut häufig zu „absolutem“ Mangel an grundlegenden materiellen Gütern führt. So lebt ein gutes Viertel der armen Kinder im Westen und ein Drittel im Osten in einem Haushalt, ohne ausreichend viele Zimmer. Ferner lebt jedes elfte arme Kind in West- und jedes siebte in Ostdeutschland in einer Wohnung mit feuchten Wänden. Knapp zehn Prozent im Westen sind nicht ausreichend mit Winterkleidung versorgt, in Ostdeutschland gilt das sogar für 12 Prozent der armutsgefährdeten Kinder.
Als Fazit der Studie lässt sich somit konstatieren, dass auch „relative“ Armut oftmals mit einem handfesten Mangel an wichtigen Gütern einhergeht.
Den WSI Report Kinderarmut können Sie hier als PDF-Datei herunterladen.