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16.11.2023

Schule als Wiege der Stillförderung: Das Projekt St-eff

Netzwerk Gesund ins Leben
Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung e.V. (ÄGGF)

Schlagwörter:Stillen und Stillförderung, Gesundheitsbildung, Ernährung

Die Stillquote in Deutschland liegt direkt nach der Geburt bei nur 68 %, nach sechs Monaten bekommt sogar nur noch jedes achte Kind Muttermilch. Besonders Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen, Kinder junger Mütter sowie Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft geraucht haben, werden weniger gestillt. Dabei ist Muttermilch die nachweislich beste Ernährungsform im ersten halben Lebensjahr. Es bedarf daher einer gezielten Aufklärung zu den Vorteilen des Stillens. Mit der bestmöglichen Versorgung ins Leben zu starten sollte keine Frage der Herkunft sein, sondern selbstverständlich werden – quer durch alle sozialen Schichten, unabhängig vom Bildungsniveau der Eltern. Der Grundstein für eine gesunde Ernährung und ein gesundheitsförderliches Verhalten wird schon früh im Leben gelegt. Deshalb setzt das Projekt „Stillen – eating for future“, kurz St-eff, genau dort an, wo das Fundament gebildet wird: in der Schule. Seit 2022 vermitteln Ärztinnen der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung e.V. (ÄGGF) Schüler*innen der Jahrgangsstufen 4 bis 6 vor Ort in der Schule die Bedeutung des Stillens.

Durch Sexualkunde Interesse und Verständnis fürs Stillen wecken

Das Setting Schule ist ideal für die Gesundheitsbildung: Hier werden Heranwachsende unabhängig von sozialen Milieus, kulturellen Hintergründen, von Geschlecht, Sprache, Hautfarbe, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung erreicht. Doch bedauerlicherweise spielt das Thema Stillen in den Lehrplänen bisher gar keine Rolle. Die ÄGGF-Ärztinnen sprechen deshalb mit den Schüler*innen während ihrer Informationsstunden im Kontext von sexueller und reproduktiver Gesundheit über das Stillen als gesunde Ernährung „von Anfang an“. Im Mittelpunkt steht dabei das Wissen über die positiven Effekte des Stillens für die Gesundheit und die Bindung von Mutter und Kind, um nachhaltig eine positive Haltung zum Stillen zu fördern. Denn, so zeigt es die jahrzehntelange Erfahrung der Medizinerinnen, Kinder zwischen 9 und 13 Jahren sind besonders interessiert an den Themen Familie und Reproduktion. Mit dem Türöffner Sexualkunde wird ihr Interesse und Verständnis für das Thema Stillen geweckt. Das erhöht die Akzeptanz dafür schon in der (Prä-)Pubertät, um prospektiv eine höhere Stillquote und längere Stilldauer zu erreichen. Setzen sich Kinder und Jugendliche mit gesundheitsförderlichen Themen auseinander, so entwickeln und festigen bzw. prägen sich Einstellungen, Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenz bei ihnen. Schule hat hier als Lernort per se einen prägenden Einfluss. Die Informationen und Themeninhalte der ärztlichen Informationsstunden basieren auf der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz und unterliegen keinerlei Einfluss durch Dritte.

Ziel: Erhöhung der Stillquote und gesunde Ernährung von Kindern

Basierend auf den Ergebnissen des Forschungsvorhabens Becoming Breastfeeding Friendly (BBF) wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, damit Deutschland noch stillfreundlicher wird. Ein Neugeborenes sollte wegen der mangelnden Gesundheitsbildung seiner Eltern auf die gesundheitsförderliche Ressource Muttermilch nicht verzichten müssen und damit die Chance auf den bestmöglichen Start ins Leben verpassen. Das Projekt „Stillen – Eating for future“ wird im Rahmen der Initiative IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung – bis Ende 2023 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. „St-eff“ leistet einen Beitrag zur Nationalen Strategie zur Stillförderung, die vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. Das Netzwerk Gesund ins Leben fördert frühkindliche Gesundheit, u.a. mit einer Kommunikationsstrategie zur Stillförderung. Die Projektdurchführung verantwortet die ÄGGF, das Netzwerk Gesund ins Leben begleitet das Projekt fachlich.

Gesundheitliche Chancengleichheit durch Aufklärung fördern

Insgesamt wurden bundesweit bereits rund 1.560 Veranstaltungen mit  ca. 22.200 Schulkindern umgesetzt, bis Herbst 2024 werden es insgesamt 2.600 Veranstaltungen sein. Der Schwerpunkt der Rekrutierung liegt auf sogenannten Brennpunktschulen, auf Schüler*innen mit geringeren Bildungschancen und/oder Migrationsgeschichte. Das in der Regel kostenfreie Angebot wirkt sozial-kompensatorisch, subsidiär und fördert die gesundheitliche Chancengleichheit. In den Informationsstunden sind die Kinder mit Feuereifer dabei und geben mit ihren eigenen Fragen die Impulse, die von den ÄGGF-Ärztinnen aufgegriffen werden. Dabei gehen sie u.a. auf die Brustentwicklung in der Pubertät als Vorbereitung des Stillens, auf die Physiologie der Milchbildung und die Bedeutung des Stillens für die Gesundheit von Kind und Mutter ein. Sie widmen sich ebenso der Wandelbarkeit der Muttermilch wie Umweltschutzaspekten und setzen das Themen Stillen und Gesunde Ernährung in den Gesamtzusammenhang von Pubertätsveränderungen und eigener Fertilität. Dafür setzen die ehrenamtlich tätigen Medizinerinnen selbstentwickelte Didaktikmaterialien ein, die den Brustaufbau und Stillvorgang veranschaulichen und die speziell für das Schulprojekt zur Stillförderung entwickelt wurden. Zudem wurden Videos erstellt, in denen zum einen – im Sinne einer Multiplikator*innenschulung – der Einsatz der Didaktikmaterialien demonstriert wird, zum anderen entstehen Kurzfilme, in denen Fragen der Kinder und Jugendlichen zum Stillen (z.B. „Wie kommt die Milch in die Brust?“) beantwortet werden.

Im Rahmen des Projekts STILLEN - EATING FOR FUTURE hat die ÄGGF vier Erklärvideos erstellt, welche typische Schüler*innenfragen zum Stillen beantworten. Sie sind auf dem YouTube-Kanal DOCtorial by ÄGGF  abrufbar.

Ärztliche Informationsstunden haben hohe Akzeptanz und Wirksamkeit bei Heranwachsenden

Die Umsetzung zeigt: Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich im vertrauten Klassenzimmer sicher – anders als in der fremden Ausnahmesituation des ärztlichen Sprechzimmers. Sie erhalten in den ärztlichen Informationsstunden der ÄGGF in üblicherweise genderhomogenen Gruppen alters- und kultursensibel Antworten auf ihre Fragen. Die Evaluationsergebnisse anderer Präventionsprojekte der ÄGGF – insbesondere auch zu Themen rund um Fertilität, Kinderwunsch und Schwangerschaft – bestätigen die hohe Akzeptanz und Wirksamkeit der ärztlichen Informationsstunden in Schulen. Erste Zwischenergebnisse der noch andauernden Prä/Post-Evaluation des St-eff-Projekts weisen bereits darauf hin, dass die Intervention wirksam ist und sehr große, statistisch signifikante Effektstärken zeigt.

Fortbildung von Lehrkräften hilft bei Integration des Themas in Lehrpläne

Der Name des Projekts „St-eff - eating for future“ ist bewusst gewählt, um den zukunftsweisenden, vorteilhaften Effekt des Stillens mit Nachhaltigkeit und Gesundheitsförderung zu verknüpfen. „St-eff“ adressiert nicht nur die Zielgruppe der Heranwachsenden, sondern auch deren schulisches Umfeld: Zum Projekt gehört die Fortbildung von Lehrkräften, um Unterrichtsinhalte zum Thema Stillen und gesundheitsförderliche Ernährung zu multiplizieren und zu verstetigen. Damit kann „Stillen“ als nachhaltig gesundheitsförderndes Thema bei allen Akteur*innen in der Lebenswelt Schule angeboten werden.

 

Verwendete Quellen:

BMEL - Schwangerschaft und Baby - Stillen in Deutschland

Brettschneider AK, von der Lippe E, Lange C. Stillverhalten in Deutschland – Neues aus KiGGS Welle 2. Bundesgesundheitsblatt 2018; 61(8): 920-925. DOI: 10.1007/s00103-018- 2770-7

Fleary SA, Joseph P. Adolescents' Health Literacy and Decision-making: A Qualitative Study. Am J Health Behav. 2020 Jul 1;44(4):392-408. doi: 10.5993/AJHB.44.4.3. PMID: 32553022; PMCID: PMC8191815.

Kuntz BB, Rattay P, Poethko-Müller C, Thamm R, Hölling H, Lampert T (2018) Soziale Unterschiede im Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2. Journal of Health Monitoring 3(3): 19-36

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