12.09.2013
Selbstvermittlungscoaching (SVC) ist Gesundheitsförderung - indirekt aber nachhaltig
Werner Lüttkenhorst, Der Paritätische Nordrhein-Westfalen
Schlagwörter:Erwerbslosigkeit, Gesundheitsbewusstsein, Gesundheitskompetenz, Partizipation
Ein negatives Selbstbild, das Gefühl von Ohnmacht und Perspektivlosigkeit sowie die Erfahrung, nicht gebraucht zu werden - was Arbeitslose kränker macht und ihr Leben verkürzt, scheint mit Perspektivlosigkeit und „Entmächtigung“ zusammen zu hängen, anders formuliert: mit der oft wiederholten Erfahrung mangender Selbstwirksamkeit. Hier setzt Selbstvermittlungscoaching an. SVC ist ein Prozess, in dem der Aufbau von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen über Rückschläge hinweg unterstützt und systematisch mit der Suche nach einer guten Arbeit verbunden wird. Die SWT-Stiftung in Düsseldorf und weitere Träger in Bonn, Brandenburg, Gießen, Remscheid und an weiteren Orten haben jetzt eine Maßnahmezulassung für SVC-Kurse erhalten.
Was ist Selbstvermittlungscoaching (SVC)?
Das Selbstvermittlungscoaching (SVC) ist eine Methode, die von Januar 2010 bis Februar 2012 an fünf Standorten in Nordrhein-Westfalen im Rahmen eines innovativen Modellprojektes entwickelt wurde (siehe auch www.selbstvermittlung.org). Ziel war die Erprobung und Weiterentwicklung von Methoden und Arbeitsformen, mit denen langzeitarbeitslose Menschen individuell und nachhaltig bei der Suche nach einem guten Arbeitsplatz unterstützt werden können.
Das Modellprojekt wurde finanziert vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW, der EU (Europäischer Sozialfonds) und den beteiligten Jobcentern. Zentraler Projektträger war der Paritätische Wohlfahrtsverband NRW.
Der Begriff Selbstwirksamkeit (Selbstwirksamkeitserwartungen oder -überzeugungen) von Albert Bandura erlebt auch im Zusammenhang mit Erkenntnissen der neueren Gehirnforschung eine Renaissance. Er bezeichnet, in welchem Maß eine Person überzeugt ist, Handlungen erfolgreich ausführen und Ziele erreichen zu können.
Selbstvermittlungscoaching unterstützt die Entfaltung von Potentialen, steigert Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (und damit das Selbstvertrauen) und fördert Selbsthilfekompetenzen. Ein SVC-Kurs vermittelt den Teilnehmenden Erfolgserlebnisse und bietet ein positives wertschätzendes Arbeitsklima. Einer der methodischen Schwerpunkte ist die Nutzung der Gruppenintelligenz: die gegenseitige Unterstützung von Teilnehmenden und die Pflege vorhandener persönlicher Netzwerke werden gefördert, verschollene Ressourcen wieder ins Bewusstsein gerufen und neue persönliche Perspektiven systematisch weiterentwickelt.
Selbstvermittlungscoaching ist zugleich ein Training in Kommunikation und Selbstpräsentation. Grundlagen sind ein humanistisches Menschenbild, erprobte Elemente der Karriereplanung und ein systemischer Coachingansatz. Die Selbstvermarktungsmethode zielt vorrangig auf den verdeckten Arbeitsmarkt. Gesteigerte Selbstwirksamkeitserwartungen sind bei bisherigen Evaluationen durchgängig deutlich geworden.
Unternehmen wünschen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf freundliche Weise selbstbewusst sind, die ihre Arbeit gut und gerne tun, die zielorientiert und gesund sind. Hier treffen sich die Interessen von Kursteilnehmenden und potentiellen Arbeitgebern.
Inzwischen wird das Selbstvermittlungscoaching an mehreren Standorten mit verschiedenen Zielgruppen im Rahmen des SGB II eingesetzt, teils auf dem Wege der beschränkten Vergabe, teilweise und zunehmend als Aktivierungsmaßnahme mit Anerkennung nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV).
Persönliche Ziele entwickeln und verfolgen
Letztlich geht es in SVC-Kursen darum, dass Kursteilnehmende einen guten Platz in der Arbeitsweltfinden. Für Menschen, die schon lange erwerbslos sind oder noch nie erwerbstätig waren, ist das bekanntlich oft nicht kurzfristig möglich. Je nach Zielgruppe kann auch die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit das realistische Ziel sein. Der SVC-Prozess „pendelt“ zwischen der Mobilisierung individueller Ressourcen, der Entwicklung von persönlichen Zielen und dem Auf- oder Ausbau kommunikativer Kompetenzen, indem über die „gefundenen“ individuellen Ressourcen und Ziele in der Gruppe und außerhalb gesprochen wird. Die Teilnehmenden werden wohlwollend herausgefordert und haben Erfolgserlebnisse, die auf weitere Herausforderungen vorbereiten. Aus Schwierigkeiten auf dem Weg zum Ziel werden kleine Projekte zur Bewältigung dieser Schwierigkeiten.
Wertschätzung und Achtsamkeit werden geübt
Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio forscht und publiziert über das Verhältnis von Geist und Körper, insbesondere die Beteiligung von Gefühlen und unbewussten Bedürfnissen an Entscheidungsprozessen (siehe z. B. sein Buch „Descartes Irrtum). Im SVC-Prozess hilft die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf positive Körpersignale, motivierende und tragfähige Ziele zu entwickeln und individuelle Ressourcen zugänglich zu machen, die helfen, Schwierigkeiten erfolgreich anzugehen.
Von Anfang an werden die Kursteilnehmenden als Auftraggeber ernst genommen (Coaching geht nicht ohne Auftrag des Coachee). Neben frühen Erfolgserlebnissen helfen der respektvolle Umgang und die alltagsnahe Sensibilisierung für positive Körperreaktionen (siehe das Konzept der somatischen Marker nach Antonio Damasio) bei der Orientierung auf eigene Ziele und Wünsche. Schon nach wenigen Tagen geben sich Kursteilnehmende in Kleingruppen gegenseitig Rückmeldungen darüber, bei welchen Aussagen über Ziele, Interessensgebiete oder Tätigkeiten sie gelächelt oder gestrahlt haben. Anhand dieser positiven somatischen Marker wird immer wieder überprüft, inwiefern die formulierten Ziele rational und emotional fundiert sind. Wenn bewusste Ziele und unbewusste Bedürfnisse nicht im Einklang sind, taugt das Ziel nicht als Quelle nachhaltiger Motivation für den schwierigen Weg zu guter Arbeit; sind sie im Einklang, ist vieles möglich.
Große Schnittmenge zwischen Gesundheitsförderung und Arbeitsmarktintegration
Eine hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung ist zentrale Voraussetzung eines gelingenden Lebens. Selbstwirksamkeit erhöht nicht nur die Chancen, eine Arbeit zu finden und zu behalten; sie hilft auch, ein zufriedeneres und damit gesünderes Leben zu führen. Das ist die implizite Gesundheitsförderung durch den SVC-Kurs. Kursteilnehmende, die wieder Hoffnung und ein motivierendes (auch berufliches) Ziel haben, sind allerdings auch eher bereit, sich eigenen gesundheitlichen Problemen zu stellen. Diese werden oft erst deutlich, wenn sie als Hürde auf dem Weg zum eigenen Ziel relevant werden. Solche (und andere) Hürden oder Stolpersteine werden im SVC-Kurs systematisch benannt und bearbeitet. Das ist, zusammen mit Entspannungsübungen, Bewegungsangeboten und optionalen Ernährungstipps, die explizite Gesundheitsförderung durch den SVC-Kurs.
Im Eckpunkte-Papier der BZgA, „Gemeinsam handeln: Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen“, wird eine Verzahnung von Gesundheits- und Beschäftigungsförderung postuliert (Eckpunkt 3). Diese Verzahnung ist im SVC-Prozess auf methodischer Ebene angelegt. Die Forderung nach Orientierung an den Stärken und Fähigkeiten, nach Wertschätzung, vorurteilsfreier, unterstützender und respektvoller Begegnung und Transparenz (Eckpunkt 7) sind hier ebenso verwirklicht. Für die Struktur der Arbeitsmarktförderung dürften hier die größten Herausforderungen liegen.
Selbstvermittlungscoaching kann man lernen, sowohl den methodischen Aufbau und Ablauf als auch die wertschätzende Haltung und Arbeitsweise als Coach. Ein erster Zertifikatskurs wurde bereits erfolgreich durchgeführt, ein zweiter (6 x 3 Tage) beginnt am 16. Oktober 2013.
- Eine Zusammenfassung der Evaluationsergebnisse des Modellprojekts finden Sie hier (PDF-Datei, 170kB). Gesundheitsaspekte wurden bisher nicht explizit untersucht.
- Ausführlichere Informationen, u.a. das ausführliche Methodenhandbuch „Kursbuch Selbstvermittlungscoaching“ als Broschüre oder PDF-Datei, unter www.selbstvermittlung.org