15.08.2018
Smart investments?
Let's talk prevention
Béatrice Frank, HAGE - Hessische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V.
Schlagwörter:Bericht, Europa, Präventionsgesetz
Am 05. Juni fand bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland der EU in Brüssel ein Seminar von EuroHealthNet zum Thema „Innovative Finanzierung und Förderungsmöglichkeiten für Gesundheitsförderung“ statt. Neben Beiträgen zu Themen, wie dem gesellschaftlichen Nutzen von Gesundheitsförderungsmaßnahmen, der sich ausbreitenden Tendenz zu gesundheitsförderlichen Gesundheitssystemen und des Investitionspotenzials des Europäischen Investitionsfonds für Gesundheitsförderung in Europa, gab es ebenfalls einen Beitrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Deutschen Präventionsgesetz.
EuroHealthNet ist auf europäischer Ebene das zentrale Netzwerk im Bereich der Gesundheitsförderung, insbesondere mit dem Schwerpunkt „Health Inequalities“. Seit seiner neuen Ausrichtung (2013) versteht sich EuroHealthNet als europäischer Partnerverbund zur Förderung von Gesundheit, Chancengleichheit und Wohlbefinden. Es ist eine gemeinnützige Partnerschaft von 56 öffentlichen Organisationen der lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Ebenen in Europa mit dem Auftrag, gesündere Gemeinschaften aufzubauen und die gesundheitliche Ungleichheit in und zwischen den europäischen Staaten zu bekämpfen. EuroHealthNet unterstützt sowohl die Strategie „Gesundheit 2020“ der WHO-Europa als auch die EU-Gesundheitsprogramme.
Eröffnet wurde das Seminar von der Präsidentin des EuroHealthNet, Nicoline Tamsma, gefolgt von einem Eröffnungsvortrag per Videobotschaft von Vytenis Andriukaitis, EU-Kommissar für Gesundheit. Darin wurde unter anderem betont, wie wichtig stärkere Investitionen in die Gesundheitsförderung sind. Als beispielhaft wurde hier Deutschland mit seinem Präventionsgesetz genannt. Eine wichtige Herausforderung sei es, Fördernde davon zu überzeugen, in die Gesundheitsförderung zu investieren. Es sei nicht länger nur von den sozialen Determinanten, sondern immer häufiger von den kommerziellen Determinanten der Gesundheit die Rede. Allgemein müssen neue Finanzierungsstrategien gefunden und neue Partnerinnen und Partner geworben werden, um stärker in die Gesundheitsförderung der Menschen zu investieren.
Um dieses Thema, den Bedarf einer Umschichtung der Finanzmittel für Prävention und Gesundheitsförderung, ging es in der 1. Sitzung des Seminars. Inhaltliche Impulse gab es von Dr. Loukianos Gatzoulis (Policy Analyst, DG Health and Food Safety, European Commission) zu dem Thema: Übergang zu den Gesundheitssystemen der Zukunft: Herausforderungen und Chancen für Gesundheitsförderung.
Gefolgt von einem sehr inspirierenden Beitrag von Dr. Sumina Azam (Head of Policy at WHO Collaborating Center for Investing in Health and Well-being, Public Health Wales) zum gesellschaftlichen Nutzen von Investitionen in Public Health, als Motor für eine nachhaltige Entwicklung, im Rahmen des Well-being of Future Generations (Wales) Act 2015. Mit diesem neuen Gesetz müssen öffentliche Institutionen in Wales bei allen Entscheidungen, die sie treffen, bewusst darüber nachdenken, inwiefern diese Entscheidungen einen Einfluss auf die Lebensqualität der Menschen in Wales haben werden. Dazu gibt es sieben Ziele für mehr Wohlbefinden, auf die alle öffentlichen Institutionen hinarbeiten müssen (siehe Abbildung). Nachhaltigkeit muss von vornherein mitgedacht werden, ebenso wie die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird und wie die Menschen in die Entscheidungen mit eingebunden werden können. Mehr zu diesem Gesetz gibt es hier zum Nachlesen.
Die 1. Sitzung wurde mit einem Beitrag von Michael Padget (OECD Health Division) zur Dynamik von Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention abgeschlossen.
Die 2. Sitzung beschäftigte sich mit der Frage: Wie stellt man eine kluge Nutzung vorhandener Fonds für die Gesundheitsförderung sicher? Eröffnet wurde die Sitzung mit einem inhaltlichen Impuls von Lieve Fransen (European Policy Centre; co-author of the report of the High-level Task Force on Investing in Social Infrastructure in Europe), zur Förderung von Investitionen in die soziale Infrastruktur Europas (Europäischen Investitionsfonds als potenzieller intelligenter Mechanismus für Investitionen in Gesundheitsförderung in Europa). Aktuell, so die Referentin, werde viel in kleinere Portfolio-Projekte investiert, die jedoch für (private) Investoren nicht attraktiv seien. Es müssten Investitionsplattformen gegründet werden, durch die auch kommunale Behörden befähigt wären, Projekte zu finanzieren. Die größten Herausforderungen würden dabei Langzeitinvestitionen und die dafür benötigte Expertise zur Beratung öffentlicher Investitionen und der Politik darstellen.
Es folgte ein Beitrag zu der Frage, wie Investitionen in Gesundheitsinfrastrukturen zu Investitionen in Gesundheits- und Sozialdienste umgeschichtet werden könnten, vorgetragen von Thomas Kergall (Council of Europe Development Bank). Auch hier wurde betont, wie wichtig es sei, künftig in „genossenschaftliche Regionalkassen“, wie z.B. dem Crédit Agricole (Frankreich) zu investieren, damit auch regionale und kleinere Projekte in den Kommunen leichter gefördert werden können.
Geschlossen wurde die 2. Sitzung mit einem Beitrag von Dr. Fredrik Lindencrona (Swedish Association of Local Authorities and Regions (SALAR)) zum Thema Fördermittel, Wertpapiere und Verträge - Methoden, um das Versprechen von “Präventionsökonomie” umzusetzen. Hier wurde verdeutlicht, dass der Gesundheitssektor im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention nicht länger alleine arbeiten könne. Sektorübergreifende Ansätze und Kollaborationen wären genauso wichtig wie der Kampf gegen Stigmatisierung. Die meisten (öffentlichen) Ressourcen werden aktuell in den Gesundheitssektor investiert, obwohl die meisten sozialen Determinanten der Gesundheit außerhalb des Gesundheitssektors liegen. Wichtig sei hierbei jedoch zu beachten, dass Verhandlungen mit den Akteuren verschiedener Sektoren, sehr differenziert erfolgen müssen, da jeder Sektor eine spezifische Perspektive habe. Der Blick der Investoren müsse auf die Gegenleistungen gerichtet werden, die sich bei solchen Investitionen ergeben. Die Rede war von einem „Vertrag sozialer Auswirkungen“ und einer Rollenverteilung, bei der auf der einen Seite der Investor und auf der anderen Seite der öffentlichere Akteur als Leistungserbringer verortet ist. Die größte Herausforderung sei jedoch, dass Auswirkungen auf sozialer Ebene Zeit brauchen, und langwierige Prozesse wiederum für Investoren nicht unbedingt attraktiv seien.
Die 3. Sitzung drehte sich um die Frage, wie innovative Strukturen zur Finanzierung von Gesundheitsförderung aufgebaut werden könnten. Als Beispiel wurde hier das Präventionsgesetz in Deutschland genannt und erläutert. Nach einem kurzen Einblick in die Gesundheitspolitik der EU durch Ortwin Schulte (Health Attaché, Permanent Representation of the Federal Republic of Germany to the EU), stellte Dr. Birgit Cobbers vom Bundesministerium für Gesundheit das deutsche Präventionsgesetz, die Aufstockung der Mittel für Gesundheitsförderung und gesundheitliche Ungleichheiten- Herausforderungen und Chancen für den Aufbau innovativer Strukturen vor. Betont wurden unter anderem die starke gesundheitliche Ungleichheit in Deutschland, und die darauf beruhende Entscheidung, einen sektorübergreifenden Ansatz („Health in All Policies“) in Form des Präventionsgesetzes einzuführen. Das Gesetz konzentriert sich hauptsächlich auf die Prävention von Krankheiten sowie auf die Gesundheitsförderung der Menschen. Mit der verpflichtenden Einbindung der Sozialversicherungen sei ein Schwerpunkt auf den Setting-Ansatz sowohl in betrieblichen als auch in nichtbetrieblichen Lebenswelten gelegt worden. Auch neue Strukturen und Institutionen seien hierfür geschaffen worden, wie z.B. die Nationale Präventionskonferenz, eine Nationale Präventionsstrategie sowie Bundesrahmenempfehlungen und der Nationale Präventionsbericht, die allesamt für die einzelnen Bundesländer bindend seien.
Dr. Frank Lehman (BZgA) schloss die dritte Sitzung mit einem Vortrag zur Umsetzung des Präventionsgesetzes ab. Die Umsetzung erfolgt auf verschiedenen Ebenen: auf Bevölkerungsebene (HiAP und bundesweite Kommunkationskampagnen), über die Setting-Ebene (Setting-Ansatz der WHO in KiTas, Schulen, Betrieben, Pflegeeinrichtungen und Kommunen) bis hin zur individuellen Ebene (Beratung, Broschüren, Hausbesuche). Die Setting-Ebene sei hierbei besonders wichtig, um vulnerable Zielgruppen zu erreichen. Die Umsetzungsergebnisse der BZgA zum Präventionsgesetz sind vielfältig: von Koordinierungsstellen für gesundheitliche Chancengleichheit auf Länderebene, Setting-Ansätzen für Arbeitslose in über 400 Jobzentren bis hin zu Recherchen und Publikationen im Bereich der Qualitätsentwicklung sowie Weiterentwicklungen der Setting-Ansätzen für weitere Zielgruppen. Es seien jedoch auch Kritikpunkte zu nennen: auf Bevölkerungs-Ebene (Makroebene) seien nur die Sozialversicherungsträger verpflichtend eingebunden worden, auf Setting-Level (Mesoebene) brauche es eine strukturelle Stärkung zwischen Bund und den Ländern sowie eine stärkere Einbindung weiterer Leitstrukturen, wie den Wohlfahrtsverbänden und den Bundesministerien für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Schließlich müsste auch die individuelle Ebene stärker in die Setting-Ansätze mit eingebunden sein, um vulnerable Zielgruppen effizienter erreichen zu können.
Die 4. und letzte Sitzung beschäftige sich mit der Frage, wie man Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Befugnisse ermuntern könne, spezifische Maßnahmen zu ergreifen, die eine finanzielle Umschichtung fördern. Hierzu gab es drei Vorträge: Der erste Beitrag, “Europäische Semester” und makroökonomische Politikbeobachtung für die Investition in Gesundheit und Wohlbefinden von Stefan Iszkowski (Policy Officer Unit “Employment and social aspects of European Semester”, DG EMPL, European Commission) wurde gefolgt von einem Beitrag von Simone Marino (Unit “Labour Market, Education, Health and Social Services”, Structural Support Service, Secretariat-General, European Commission) zur Frage: Wie können Unterstützungsleistungen für Strukturreformen den Übergang zu gesundheitsfördernden Systemen unterstützen?
Abgeschlossen wurde die Sitzung von Agnieszka Markowska (Milieu Ltd) mit einem Einblick in den Beitrag des Europäischen Strukturfonds für Maßnahmen im Bereich Gesundheitsförderung und gesundheitliche Strukturreformen.
Die Schlussfolgerungen zum Seminar wurden von Caroline Costongs, der Leiterin des EuroHealthNet, zusammengefasst:
- Die Zukunft der Gesundheitswirtschaft liegt in der Prävention und der Gesundheitsförderung durch setting- und sektorübergreifende Ansätze
- Es bedarf fundierter Empfehlungen und Leitlinien für Entscheidungsträger
- Gesundheit und Nachhaltigkeit müsse in der Finanzpolitik stärker mitgedacht werden („Health in Finance Policies“)
- Es bedarf weiterer Vermittlungsinstanzen und weiterer Vermittler: In welche Projekte soll investiert werden? Projekte müssen verstärkt „bankfähig“ gestaltet werden.
- Kapazitäten können ebenfalls mit europäischen Instrumenten gestärkt werden: Das Europäische Sozialfonds Plus-Programm (ESF+) einsetzen, um gesundheitliche Ungleichheiten zu verbessern (2021-2027).
Das Programm in englischer Sprache kann hier eingesehen werden.