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10.07.2014

Soziale Teilhabe und HARTZ IV

Zur gesundheitlichen Situation von Menschen im Mindestsicherungsbezug

Evelyn Sthamer, ehemals Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.

Schlagwörter:Beschäftigungsfähigkeit, Erwerbslosigkeit, psychische Gesundheit, Studie, Teilhabe

Der Be­zug von Hartz IV-Leistungen hat negative Fol­gen für das subjektive Wohl­be­fin­den. Gleichzeitig erhöht ei­ne schlechte subjektive Ge­sund­heit dras­tisch das Ri­si­ko, über längere Zeit hinweg in prekären Le­bens­la­gen zu verharren.

Im Zuge der sozialpolitischen Reformen seit An­fang der 2000er Jahre rückte die Zielgröße der Teil­ha­be aller Personen am Er­werbs­le­ben wei­ter in den Vordergrund. Seitdem stieg der An­teil erwerbstätiger Personen an. Gleichzeitig verbleiben Menschen - ob mit oder oh­ne Ar­beit - noch im­mer häufig dau­er­haft im Mindestsicherungsbezug, d.h. sie er­hal­ten über längere Zeit Leis­tung­en wie ALG II bzw. „Hartz IV“. Vor dem Hintergrund, dass nicht nur die materielle Grundversorgung, son­dern auch die Mög­lich­keit der Teil­ha­be am gesellschaftlichen Leben ein Grund­recht unserer Ge­sell­schaft ist, stellt sich die Fra­ge, in­wie­fern die Be­trof­fe­nen noch das Ge­fühl haben da­zu zu ge­hö­ren und wel­che Faktoren verhindern kön­nen, dass sie dau­er­haft in prekären Le­bens­la­gen verharren.

Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on (WHO) definiert Ge­sund­heit als „Zu­stand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und da­her weit mehr als die bloße Ab­we­sen­heit von Krank­heit oder Ge­bre­chen“. Ge­sund­heit und gesellschaftliche Teil­ha­be be­din­gen sich da­her nicht nur ge­gen­sei­tig, son­dern kön­nen auch als Kom­po­nen­te des je­weils anderen Konzeptes verstanden wer­den: Eine Person, die vom sozialen Leben aus­ge­schlos­sen ist, kann nach der zitierten De­fi­ni­ti­on nicht als ge­sund gel­ten.

Welche Aus­wir­kung­en hat Er­werbs­lo­sig­keit auf soziale Teil­ha­be?

Wie sich soziale Teil­ha­be im Mindestsicherungsbezug konstruiert, d.h. ob der Be­zug von Mindestsicherungsleistungen auch über fehlende Erwerbsteilhabe und finanzielle Ein­schrän­kung­en hinaus re­le­vant für gesellschaftliche Teil­ha­be - und da­mit auch für die ge­sund­heit­liche Si­tu­a­ti­on der Menschen - ist, war Ge­gen­stand einer Kooperationsstudie des AWO Bundesverbandes und dem In­sti­tut für So­zi­al­ar­beit und So­zi­al­pä­da­go­gik in Frankfurt am Main (ISS-Frankfurt a. M.).  Anhand einer quantitativen Un­ter­su­chung mit Da­ten des Panels „Ar­beits­markt und soziale Si­che­rung“ (PASS) des In­sti­tuts für Ar­beits­markt- und Berufsforschung (IAB) wurde die Si­tu­a­ti­on der Menschen im Mindestsicherungsbezug in den Blick genommen.

Die Stu­die gibt Auf­schluss da­rü­ber, wel­che Faktoren die Si­tu­a­ti­on der Menschen im Mindestsicherungsbezug verbessern und ih­nen soziale Teil­ha­be er­mög­li­chen. Damit kann aufgezeigt wer­den, an wel­chen Stel­len ein besonderer Handlungsbedarf für So­zi­al­po­li­tik und Pra­xis besteht.

Ar­beits­lo­sig­keit, Einkommensarmut und Mindestsicherungsbezug haben je­weils eigene negative Wir­kung­en auf das subjektive Wohl­be­fin­den und auf das Ge­fühl zur Ge­sell­schaft dazuzugehören.

Für das subjektive Wohl­be­fin­den, wel­ches eng mit der psychischen Ge­sund­heit zusammenhängt, wurde gezeigt: Rutscht ei­ne Person in Einkommensarmut, in den Grundsicherungsbezug, oder wird ar­beits­los, hat das negative Wir­kung­en auf das subjektive Wohl­be­fin­den. Dabei wir­ken al­le drei Zustände un­ab­hän­gig voneinander, wo­bei die Erwerbstätigkeit sich als stabilster Fak­tor herauskristallisiert, der soziale Teil­ha­be befördert. Aber das Wohl­be­fin­den wird auch dann durch den Be­zug von Mindestsicherungsleistungen beeinträchtigt, wenn ei­ne Person er­werbs­tä­tig ist und nicht von Einkommensarmut be­trof­fen ist. Dies weist da­rauf hin, dass der Mindestsicherungsbezug mit psychischen Be­las­tung­en verbunden ist, die zum Bei­spiel durch Stig­ma­ti­sie­rung und Scham hervorgerufen wer­den kön­nen. Der alltägliche Um­gang mit Menschen, die staatliche Transferleistungen nach dem SGB II beziehen, ist dem­nach genauer zu be­trach­ten und zu über­den­ken.

Menschen mit gesundheitlichen Ein­schrän­kung­en haben ein hohes Ri­si­ko, dau­er­haft in Ar­beits­lo­sig­keit zu verharren.

Durch die Be­trach­tung von Personen über ei­nen Zeit­raum von fünf  Jahren wurden drei verschiedene Verlaufstypen von Mindestsicherungsbeziehern identifiziert:

  • Menschen, de­nen dau­er­haft der Aus­stieg aus dem Mindestsicherungsbezug gelingt,
  • Menschen, die die meis­te Zeit Mindestsicherungsleistungen beziehen, aber nicht ar­beits­los im engeren Sinne sind (d.h. zum Bei­spiel Leis­tung­en zu­sätz­lich zu ihrem Erwerbseinkommen er­hal­ten oder Hausfrauen bzw. -männer sind) und
  • Menschen, deren Er­werbs­bi­o­gra­fie über­wie­gend durch Ar­beits­lo­sig­keit im Mindestsicherungsbezug gekennzeichnet ist.

Bei der Be­trach­tung der soziodemografischen Merkmale der Grup­pen wurde deut­lich, dass die letztgenannte Grup­pe be­son­ders häufig angibt, ge­sund­heit­liche Probleme zu haben, häufig ei­ne geringe Bil­dung hat und be­son­ders häufig in Ein-Personen-Haushalten lebt. Dies ist ein Hinweis für den dringenden Handlungsbedarf mit Blick auf die För­de­rung der ge­sund­heit­lichen Si­tu­a­ti­on von Ar­beits­lo­sen im Mindestsicherungsbezug. Es stellt sich so­gar die Fra­ge, ob der Rechtskreis des SGB II und das Prinzip des Förderns und Forderns ge­eig­net sind, um den Menschen neue Teilhabechancen zu er­öff­nen oder ob diese Menschen an­de­re, in­di­vi­du­ell ausgestaltete Un­ter­stüt­zung benötigen.  

Faktoren, die die soziale Teil­ha­be er­hö­hen

Soziale Teil­ha­be im SGB-II-Bezug erhöht sich, wenn die subjektive Ge­sund­heit sich verbessert.

Auch wurde in dem Be­richt untersucht, wel­che Faktoren die soziale Teil­ha­be - das heißt das Zu­ge­hö­rig­keits­ge­fühl zur Ge­sell­schaft - im Mindestsicherungsbezug er­hö­hen. Dabei wurde deut­lich, dass ei­ne Verbesserung der subjektiven Ge­sund­heit ein höheres Zu­ge­hö­rig­keits­ge­fühl bewirkt. Die För­de­rung der ge­sund­heit­liche La­ge der Be­trof­fe­nen im Mindestsicherungsbezug, so­wohl mit Blick auf körperliche als auch psychische Aspekte, ist al­so zen­tral. Zudem zeigte sich, dass ei­ne größere Unterstützungswahrnehmung durch die Be­ra­tung des Jobcenters mit ei­nem höheren Teil­ha­beempfinden einhergeht. Deutlich wird auch hier, wie wich­tig es ist, Menschen in prekären Le­bens­la­gen in ih­rer individuellen Si­tu­a­ti­on ernst zu neh­men und auch mit Blick auf ih­re ge­sund­heit­liche Si­tu­a­ti­on zu un­ter­stüt­zen.

For­de­rung­en nach ei­ner engeren Verzahnung von Arbeits- und Ge­sund­heits­för­de­rung

In Be­zug auf die Ge­sund­heit wurden ins­be­son­de­re drei The­sen durch die Stu­die gestützt:  

  • Erstens haben so­wohl der Mindestsicherungsbezug, die Einkommensarmut aber auch die Ar­beits­lo­sig­keit un­ab­hän­gig voneinander ne­ga­tive Konsequenzen für das subjektive und soziale Wohl­be­fin­den. Das heißt, Menschen im Mindestsicherungsbezug haben ers­tens viel weniger das Ge­fühl, zur Ge­sell­schaft zu ge­hö­ren als oh­ne Mindestsicherungsbezug. Außerdemist der Leistungsbezug tat­säch­lich auch ei­ne Ur­sa­che da­für, dass Personen ein geringeres Teil­ha­beempfinden haben. Wenn je­mand in den Leistungsbezug rutscht, wirkt sich dies auch ne­ga­tiv auf sei­ne soziale Teil­ha­be aus.
  • Zweitens erhöht ei­ne schlechte subjektive Ge­sund­heit das Ri­si­ko, über längere Zeit hinweg in Ar­beits­lo­sig­keit mit gleichzeitigem Mindestsicherungsbezug zu verharren.
  • Drittens steigt das Teil­ha­beempfinden im Mindestsicherungsbezug, wenn sich die subjektive Ge­sund­heit der Be­trof­fe­nen verbessert.

Gefordert ist des­halb so­wohl die ge­sund­heit­liche Vorsorge als auch die För­de­rung von Erwerbstätigkeit trotz gewisser ge­sund­heit­licher Ein­schrän­kung­en. Vieles deutet da­rauf hin, dass ein Aus­bau des Präventionsansatzes und ei­ne engere Verzahnung von Ar­beits­markt und Ge­sund­heits­för­de­rung  wichtige Baustei­ne auf dem Weg zu ei­ner stärkeren sozialen Teil­ha­be von Menschen in prekären Le­bens­la­gen sind.

Den Bericht können Sie hier bestellen (externer Link).

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