28.10.2015
Sterben ohne Obdach - Brauchen wohnungslose Menschen Sterbebegleitung?
Arbeitskreis Wohnungslosigkeit und Gesundheit der HAG lädt zu Diskussionsrunde im Rahmen der Hamburger Hospizwoche ein
Petra Hofrichter, Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Hamburg
Andreas Struppek, Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V. (HAG)
Schlagwörter:Sterbebegleitung, Wohnungslose
Brauchen wohnungslose Menschen Sterbebegleitung?
Das Interesse sich im Rahmen der Hamburger Hospizwoche mit dem Thema Sterben ohne Obdach auseinanderzusetzen war groß: Über 40 Personen aus dem Bereich des freiwilligen Engagements, der medizinisch-pflegerischen Versorgung und der Wohnungslosenhilfe besuchten am 13. Oktober 2015 die Veranstaltung des Arbeitskreises „Wohnungslosigkeit und Gesundheit“ der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Hamburg im Gesundheitszentrum St. Pauli.
AK Wohnungslosigkeit und Gesundheit lädt zum Gespräch ein
„Für die Wohnungslosen kommt der Tod fast immer zu früh“, so das Zitat aus der Broschüre „Sterbende Menschen begleiten“, die der Arbeitskreis veröffentlicht hat. „Meist sind sie zu jung, hatten vielleicht kein erfülltes Leben aus dem sie sich gut verabschieden können. Alles was Sterbende und ihre Angehörigen trösten kann - das Abschiednehmen, die Erinnerung an das gemeinsame Leben und die Spuren, die der Sterbende hinterlässt wird wohnungslosen Menschen nicht zuteil.“. Im Gegenteil: „Wohnungslose Sterben häufig allein, ohne Trost und letztes Gespräch, in funktionalen Räumen, auf der Straße oder im Krankenhaus“. Diese Aussage macht deutlich: In den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe ist es nicht immer leicht, eine Situation zu schaffen, in der Bewohnerinnen und Bewohner würdevoll und so wie sie es sich wünschen sterben können. Bisher gibt es nur vereinzelte Zusammenarbeit mit ambulanter Sterbebegleitung. Seit einigen Jahren arbeiten Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Institutionen der Hamburger Unterstützungslandschaft zusammen - unter dem Dach der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit in der HAG und an der Schnittstelle zwischen Wohnungslosenhilfe und Gesundheitsversorgung. Gemeinsam wollen die Akteure die sektorenübergreifende Zusammenarbeit der Wohnungslosenhilfe, der medizinisch-pflegerischen Versorgung und der Hospiz- und Palliativarbeit fördern, um die Situation kranker und sterbender Menschen ohne Obdach zu verbessern. Dafür wurde die Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Hamburg in diesem Jahr mit dem 1. Preis der Bundes-Hospizstiftung ausgezeichnet.
Die Mitglieder des Arbeitskreises wollten sich daher an der diesjährigen Hamburger Hospizwoche beteiligen und die Begegnung zwischen Mitarbeitenden und freiwillig Tätigen der Wohnungslosenhilfe und dem Hospizbereich fördern und sie zu mehr Austausch und Kooperation zu ermutigen. Weitere Ziele der Veranstaltung: Sensibilisierung für die Lebenssituation von wohnungslosen Menschen, Erläuterung der jeweiligen Hilfestrukturen und Aufzeigen von Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit.
Leben und Sterben auf der Straße
Bevor sich über das Sterben und die Trauer von wohnungslosen Menschen ausgetauscht werden sollte, stand das Leben ohne Obdach im Mittelpunkt:
- Wie leben wohnungslose Männer und Frauen in Hamburg?
- Wie viele leben in Wohnunterkünften, Notübernachtungen oder auf der Straße?
- Welche niedrigschwelligen Gesundheitsangebote stellt die Wohnungslosenhilfe für sie bereit?
Ina Ratzlaff, f&w fördern und wohnen AöR, gab einen Überblick über das System und die Angebote der Wohnungslosenhilfe und stellte klar: eine genaue Anzahl der wohnungslosen und obdachlosen Menschen in Hamburg gibt es nicht. In Hamburg sind derzeit ca. 6000- 7000 Menschen öffentlich untergebracht, ca. 2000 leben auf der Straße - die Dunkelziffer ist sehr hoch. Der Großteil der wohnungslosen Menschen in Hamburg ist nach dem SOG (Sicherheits- und Ordnungsgesetz) untergebracht. Der Auftrag innerhalb des SOG liegt in der Bereitstellung einer Unterkunft, darunter fallen Notübernachtungen, betreute Wohneinrichtungen oder auch Schlafplätze im Rahmen des Winternotprogramms. Die Notübernachtung wird in Hamburg über das „Pik As“ (alleinstehende, wohnungslose Männer, Frauen und Paare mit einem Haustier) und über das „Frauenzimmer“ (allein stehende Frauen und Frauen mit einem Kind) angeboten. Die Notübernachtung ist zeitlich begrenzt auf sieben Tage mit einer Option auf Verlängerung. Somit ist es durchaus möglich auf Menschen zu treffen, die bereits Jahre oder Jahrzehnte in der öffentlichen Unterbringung leben.
Innerhalb der Wohnungslosenhilfe in Hamburg liegt der Schwerpunkt auf den niedrigschwelligen Hilfen. In diesen Angeboten steht hauptsächlich die Versorgung hinsichtlich der Ernährung, Kleidung, Körperhygiene, der medizinischen Hilfe, der menschlichen Wärme und weiterer Bedarfe im Vordergrund. Dazu zählen Tagestreffpunkte (Aufenthaltsstätten mit Verpflegung, Waschgelegenheiten, sozialer Beratung, Möglichkeiten zur Einrichtung von Postadressen (teilweise) ärztlichen Sprechstunden etc.), Bahnhofsmissionen (kurzfristiger Aufenthalt, Gespräche, Weitervermittlung). Mobile Hilfen und aufsuchende Arbeit, Essensausgabestellen und Kleiderkammern.
Ingrid Kieninger vom Caritasverband für Hamburg e.V. gab anschließend einen Einblick in die gesundheitliche Situation und die medizinische und pflegerische Versorgung für Wohnungs- und Obdachlose. Neben den aufsuchenden Angeboten (mobile Hilfen) werden für wohnungslose Menschen niedrigschwellige Sprechstunden (z.B. Schwerpunktpraxen für hausärztliche und psychiatrische Versorgung) angeboten. Auch wenn ein Großteil der wohnungslosen Patienten krankenversichert ist, finden sie nicht immer den Weg in die Regelversorgung bzw. werden dort ausgegrenzt. Im Gesundheitszentrum St. Pauli ist auch die Krankenstube für Obdachlose beheimatet - hier erhalten obdachlose Menschen medizinische Hilfen mit dem Ziel der gesundheitlichen Stabilisierung. Die 14 regulären und die 2 Notbetten sind fast immer ausgelastet. Rund um die Uhr erhalten die Patienten Pflege und Unterstützung von professionellen Pflegekräften. Auch steht ein Sozialarbeiter beratend zur Seite und hilft bei der Beschaffung verloren gegangener Papiere, begleitet zu Terminen zur Klärung von Ansprüchen bei Behörden und Krankenkassen.
Wie können sterbende Menschen in Hamburg begleitet werden?
Uwe Enenkel, Koordinator für das Malteser Hospiz- Zentrum Bruder Gerhard in Hamburg-Volksdorf, berichtete wie Sterbebegleitung gelingen kann und welche Möglichkeiten der Unterstützung es für Betroffene und ihre An- und Zugehörige in Hamburg gibt. Zentrales Ziel der Palliativversorgung ist es, belastende Beschwerden zu lindern und den Menschen eine Verbesserung ihrer Lebensqualität am Lebensende zu ermöglichen. Die Angebote der Hospizversorgung in Hamburg erstrecken sich von Beratung, ambulanter Hospizbegleitung bis hin zur stationären Hospizarbeit für Erwachsene und Kinder in spezialisierten Einrichtungen.
Im Anschluss stellte Stefanie Janssen, Ambulanter Hospizdienst St. Pauli, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) vor. Diese setzt da an wo die reguläre ambulante Palliativversorgung aufgrund komplexer Symptomatik, Krisenintervention und hohem Aufwand nicht mehr ausreichend ist. Insgesamt gibt es in Hamburg acht Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, die rund um die Uhr erreichbar sind.
Nach den Vorträgen entbrannte eine rege Diskussion:
- Wie erfährt man, dass auf der Straße gestorben wird?
- Wie niedrigschwellig kann Palliativversorgung sein?
- Kann man Menschen, die auf der Straße leben, palliativ versorgen?
Es wurde deutlich, dass der Sterbeprozess wohnungsloser Menschen sich von dem der Menschen in gesicherten Wohnverhältnissen unterscheidet. So machte der Psychiater der Schwerpunktpraxis im Pik As deutlich, dass der Großteil der Wohnungslosen psychisch krank und suchtabhängig sind, sie in der Regel deutlich früher -häufig sehr plötzlich - versterben. Viele von ihnen sterben an vergleichsweise einfach zu behandelnden Krankheiten - doch es fehlt häufig an einer Diagnose. Wo soll da Sterbebegleitung ansetzen? Aufgrund der besonderen Lebenssituation und -biografien ist der Wunsch der Betroffenen nach hospiz-palliativer Versorgung nicht immer gegeben. Daher sind Lösungen gefragt, die sich den Menschen, die sich in dieser Notlage befinden, annähern.
So kommt es zu der Situation, dass die Hospizakteure sich durchaus bereit erklären in der Wohnungslosenhilfe aktiv zu werden - sie jedoch nicht abgerufen werden. Auf der Suche nach Erklärungen wurde deutlich, dass der Hospizbereich die Kontaktaufnahme bzw. Zusammenarbeit mit An- und Zugehörigen benötigt - dies kann die Wohnungslosenhilfe in der SOG (Sicherheits- und Ordnungsgesetz) nicht leisten.
An fehlender Krankenversicherung wird eine Begleitung nicht scheitern, auf die Frage „Keine Krankenkassenkarte - keine Hospizversorgung?“ entgegnete Enenkel, dass eine ambulante Begleitung von wohnungslosen Menschen, Beratung durch Fachkräfte und Begleitung durch ehrenamtliche Hospizhelferinnen und -helfer, ohne Krankenversicherung möglich ist. Dies gelte für alle ambulanten Hospizdienste in Hamburg.
Wer definiert Würde?
Wie lässt sich ein Sterben in Würde ermöglichen? Und: Was bedeutet würdevolles Sterben für wohnungslose Menschen bzw. was wissen wir über Gedanken, Gefühle und Wünsche von sterbenden wohnungslosen Menschen überhaupt? Viele Fragen, die auch am Ende des Abends noch unbeantwortet blieben.
Einigkeit bestand darin, dass die Netzwerkbildung aus Hospizarbeit, palliativer Therapie und Wohnungslosenhilfe weiter auszubauen sind. Zwar existieren zum Teil bereits Kooperationen zwischen ambulanter Sterbebegleitung und der Wohnungslosenhilfe, diese sind jedoch noch punktuell und es fehlen zum Teil verfestigte Abläufe und Strukturen, die eine angemessene Versorgung mit Sterbebegleitung ermöglichen. Und: Wichtig scheint vor diesem Hintergrund besonders der Kontakt mit den wohnungslosen Klienten zu sein. In der Gesprächsrunde bestand Einigkeit über die Wichtigkeit mit den Menschen in einen Dialog zu treten und die Art und Weise wie ein Mensch stirbt in besonderem Maße zu respektieren.
Nach offiziellem Ende der Veranstaltung lud Ingrid Kieninger in den zweiten Stock des Gesundheitszentrums St. Pauli, zu einer Besichtigung der Krankenstube für Obdachlose ein.