05.08.2013
Suchtrisiken und schulische Suchtprävention - Soziale Ungleichheit und Konsum von psychoaktiven Substanzen und Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen
Dieter Henkel, Institut für Suchtforschung der Fachhochschule Frankfurt am Main
Schlagwörter:Alkohol, Drogen, Rauchen, Suchthilfe
Der kürzlich erschienene Artikel "Soziale Ungleichheit und Konsum von psychoaktiven Substanzen und Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen: Stand der sozialepidemiologischen Forschung in Deutschland und präventive Schlussfolgerungen" führt den aktuellen Stand zum Suchtmittelkonsum unter Berücksichtigung von Indikatoren sozialer Ungleichheit auf. Er wurde im Sammelband "Gesundheitsförderung im Setting Schule" (Hrsg.: Marchwacka, 2013) veröffentlicht, welcher sich dem Thema Gesundheitsförderung als Bestandteil der Institution Schule widmet.
Die Weltgesundheitsorganisation (2009) geht davon aus, dass in hoch entwickelten Ländern Tabak und Alkohol zu den wichtigsten vermeidbaren Risikofaktoren für Krankheit und frühzeitige Sterblichkeit gehören. Um die Suchtgefahren und die damit verbundenen negativen Folgen zu verringern, ist Suchtprävention notwendig. Für eine bedarfsgerechte Ausrichtung der Prävention ist daher die Frage von zentraler Bedeutung, wie der problematische Gebrauch von psychoaktiven Substanzen und Glücksspielen sozialstrukturell verteilt ist und ob bestimmte soziale Gruppen von Kindern und Jugendlichen mehr als andere präventive Unterstützung benötigen.
Nachfolgend wird ein Ausschnitt des Artikels für Sie als Leseprobe zur Verfügung gestellt. In diesem wird aufzeigt, inwieweit der Rückgang der Raucherquoten sozial ungleich verteilt ist.
3.1.1 Rückgang der Raucherquoten 2001 - 2011: sozial gleich oder ungleich?
Nach den Daten der BZgA, die den Tabakkonsum der Kinder und Jugendlichen in Deutschland bereits seit 1979 in repräsentativen Studien erhebt, hat sich die Raucherquote bei den 12- bis 17-jahrigen Jungen und Mädchen erheblich reduziert. Der entscheidende Einschnitt erfolgte ab 2001. Seit dieser Zeit sank die Quote von jeweils knapp 30 % auf rund 11 % bei den Jungen und 12 % bei den Mädchen in 2011 (BZgA 2012a). Das sind die mit Abstand niedrigsten Werte im gesamten, mehr als drei Jahrzehnte umfassenden Beobachtungszeitraum.
Es ist davon auszugehen, dass diese Reduktion im Wesentlichen auf ein Bündel von Maßnahmen zurückgeht, die in Deutschland seit 2002 einsetzten. Dazu gehören die schrittweisen, aber im Endeffekt erheblichen Erhöhungen der Tabaksteuer und infolgedessen auch der Tabakpreise von 2002 - 2005, die Heraufsetzung der Altersgrenze fur den Kauf und Konsum von Tabakprodukten von 16 auf 18 Jahre, die Einschränkungen und Verbote der Tabakwerbung sowie die fast flächendeckenden Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln, Schulen usw. infolge der Nichtraucherschutzgesetze seit 2007. Diese Maßnahmen, die von massenmedialen Aufklärungskampagnen und lokalen verhaltenspräventiven Programmen flankiert waren und sind, haben zu einer breiten öffentlichen Problematisierung des Rauchens geführt und auch bei Kindern und Jugendlichen einen deutlichen Einstellungswandel gegenüber dem Rauchen bewirkt.
Aber schlagen sich diese Aktivitäten auch in den sozialepidemiologischen Daten nieder? Für die verschiedenen Schulformen können die Entwicklungen ab 2001 für die Sekundarstufe I (BZgA-Daten) und ab 2003 fur die 9./10. Klasse (ESPAD-Daten; Kraus et al. 2004, 2008, 2012) zurückverfolgt werden (Tabelle 3).
Auch hier lassen sich markante, dem allgemeinen Trend entsprechende Rückgange erkennen, allerdings mit deutlichen Unterschieden zwischen den Schulformen. Nach den BZgA-Daten hat sich der Prävalenzabstand zwischen den Haupt-/Realschulen und den Gymnasien beim regelmäßigen Rauchen von 6 Prozentpunkten im Jahr 2001 auf 13 Prozentpunkte in 2011 erhöht und damit mehr als verdoppelt. Und die ESPAD-Daten zeigen, dass die Raucherquote in den Gymnasien und den Real- und Gesamtschulen über die gesamte Beobachtungszeit kontinuierlich zurückging, hingegen in den Hauptschulen ab 2007 wieder zunahm und im Jahr 2011, so wie in 2001, um fast 20 Prozentpunkte über der Raucherquote der Gymnasien lag (Tabelle 3).
Somit haben die Tabakkontroll- und Präventionsmaßnahmen in den vergangenen zehn Jahren zwar insgesamt zu einer Reduktion des Tabakkonsums in allen Schulformen und in beiden untersuchten Altersgruppen geführt. Doch die soziale Ungleichheit im Tabakkonsum hat sich nicht verringert. Sie hat sich vielmehr seit 2001 zu ungunsten der Hauptschulen kontinuierlich vergrößert (BZgA-Daten) bzw. ab 2007 wieder vergrößert (ESPAD-Daten)*. Daher besteht kein Anlass zu der Hoffnung, dass die soziale Ungleichheit im Rauchverhalten sich im Selbstlauf verringert und verschwindet.
*Auch bei den Erwachsenen ist ein ähnlicher Verlauf festzustellen, wenn man die Entwicklung der Raucherquote von Personen mit niedrigem und hohem sozioökonomischem Status betrachtet. Ein Vergleich der Daten aus den deutschen Suchtsurveys von 1980 bis 2009 zeigt einen bereits seit 1980 beginnenden und über die gesamte Zeit anhaltenden stärkeren Rückgang der Raucherquote in der Gruppe mit hohem Status. Dadurch hat sich die Differenz in den Raucherquoten der beiden sozioökonomischen Gruppen während des gesamten Zeitraums kontinuierlich vergrößert, besonders seit 2006 (Piontek et al. 2010).
Literatur
Henkel, D. (2013): Soziale Ungleichheit und Konsum von psychoaktiven Substanzen und Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen: Stand der sozialepidemiologischen Forschung in Deutschland und präventive Schlussfolgerungen (2013). In: Marchwacka, M. A. (Hrsg.): Gesundheitsförderung im Setting Schule. Wiesbaden: Springer Fachmedien