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15.10.2019

Teil 2 der Reihe "Kinderrechte ganz praktisch"

Ein Kinder- und Jugendarzt im Interview

Schlagwörter:Jugendliche, Kinder, Kinderrechte, Kinderschutz

Wie können Sie die Rechte von Kindern und Jugendlichen in Ihrer täglichen praktischen Arbeit stärken?

Selbst vielen Ärzten (ge­schwei­ge denn den Eltern) ist es nicht be­wusst, dass das rechtswirksame Einverständnis für medizinische Maß­nah­men vom verständigen Ju­gend­li­chen und nicht von des­sen Eltern erteilt wird. Wenn ich dies erkläre, fällt es manchen Eltern schwer, das als Tat­sa­che zu ak­zep­tie­ren. Weiterhin neh­men Ju­gend­li­che ih­re Rech­te oft nicht wahr. Auf die Mög­lich­keit angesprochen, ei­ne Un­ter­su­chung mit oder oh­ne An­we­sen­heit des Elternteils durch­füh­ren zu kön­nen, erhalte ich nicht sel­ten die Ant­wort: „Egal, wie Ma­ma es will.“
Das Bei­spiel zeigt: Kinderrechte wirken nicht alleine durch ihre Existenz. Zusätzlich braucht es dreierlei: Eltern, Kin­dern und Dritten müs­sen Kinderrechte bewusst sein, sie müs­sen akzeptiert und letzt­lich auch eingefordert wer­den.

Wie werden Kinder und Jugendliche bei Ihnen über ihre Rechte informiert?

In mei­ner täglichen praktischen Ar­beit spielt ein in der KRK nicht ex­pli­zit genanntes Recht ei­ne besondere Rol­le: das Recht auf Beteiligung. Auch wenn ein Kind noch nicht über diagnostische und therapeutische Maß­nah­men mitentscheiden kann, sollen sie doch nicht über seinen Kopf er­fol­gen. Direkte An­spra­che, dem Entwicklungsstand angemessene Kom­mu­ni­ka­ti­on und passende Er­klä­rung des Geschehens helfen, dass ein Kind nicht zum Ob­jekt wird, son­dern Sub­jekt bleibt.
Damit Kinderrechte eingehalten wer­den, müs­sen Er­wach­se­ne auch um die Besonderheiten von Kindern wis­sen. Denn die Verletzung von Kinderrechten erfolgt oft un­be­wusst und un­ge­wollt, aus Un­wis­sen­heit heraus. Letztens bat mich ei­ne Fa­mi­lie um ein Re­zept für Beruhigungszäpfchen für die Imp­fung des Ba­bys. Freunde hatten berichtet, dass ihr Kind nach der Imp­fung so un­ru­hig gewesen sei, da würden sie ger­ne vorbeugen. Was die Eltern und ih­re Freunde of­fen­sicht­lich nicht wussten: Un­ru­he ist im Säuglingsalter ein gängiges Schmerzsymptom. Nach mei­nem (nicht ganz ernst gemeinten) Vorschlag, als Erwachsener doch beim Zahn­arzt das nächste Mal auf das Be­täu­bung zu verzichten und lie­ber ei­ne Be­ru­hi­gungs­sprit­ze (da­mit man nicht so laut schreit) zu for­dern, einigten wir uns auf ein schmerzlinderndes Zäpf­chen für das Ba­by.

Spielt die Festschreibung der Kinderrechte, bspw. in Form der UN-Konvention oder zukünftig im Grundgesetz für Ihre praktischen Bemühungen eine Rolle?

Oft habe ich als Kinder- und Jugendarzt das Ge­fühl, dass Kinderrechte nachrangig sind. Zwei Beispiele da­zu. Erstens: das Asylbewerberleistungsgesetz schränkt in § 4 die Leis­tung­en bei Krank­heit deut­lich ein, die UN-KRK spricht hingegen vom Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Ge­sund­heit. Hier hat die Politik ei­nen Wi­der­spruch zu Lasten des Kindes konstruiert, an dem wir im­mer wie­der verzweifeln - und der aufgelöst gehört! Zweitens: im Mai 2019 ging durch die Pres­se, dass in Vorbereitung des Strafprozesses zum Missbrauchsfall von Lügde die Po­li­zei Bie­le­feld und die Staats­an­walt­schaft Det­mold den Opfer-Eltern ge­ra­ten haben soll, ei­ne Psy­cho­the­ra­pie ihrer Kinder aus prozesstaktischen Gründen erst nach dem Missbrauchsprozess zu be­gin­nen. Allein diese Aus­sa­ge zeigt die Ge­ring­schät­zung der Kinderrechte durch manche Behörden.
Ich wünsche mir da­her ei­ne klare Festschreibung der Kinderrechte im Grundgesetz!

Michael Achenbach, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Plettenberg

Das Themenblatt zum The­ma Kinderrechte kön­nen Sie hier herunterladen.

Alle weiteren Themenblätter des Ko­o­pe­ra­ti­ons­ver­bun­des Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit fin­den Sie hier.

Lesen Sie auch Teil 1 unserer Rei­he "Kinderrechte ganz prak­tisch" - das In­ter­view mit Frau­ke Groner aus dem Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro Ber­lin Marzahn-Hellersdorf.

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