04.01.2012
Transkulturelle Netzwerke von Migrantinnen in Schwangerschaft und Wochenbett
Magdalena Stülb, Hochschule Koblenz - RheinAhrCampus
Schlagwörter:Kommentar, Migration, Schwangerschaft
Veränderungsprozessen in Familien durch Migration und transnationale Verflechtungen wird aktuell in den Sozialwissenschaften viel Beachtung geschenkt. Beschränkte sich die Forschung zu Schwangerschaft und Geburt in der Ethnologie lange Zeit auf die Beschreibung von Geburtspraktiken im interkulturellen Vergleich, so wird im Kontext von Migration verstärkt der Frage nachgegangen, wie sich kulturelle Vielfalt in der geburtshilflichen Praxis in Einwanderungsländern auswirkt.
Grundlage meiner medizinethnologischen Forschung in Süddeutschland waren daher folgende Fragen:
- Wie nehmen Hebammen die Arbeit mit zugewanderten Frauen wahr?
- Sehen sie kulturelle Missverständnisse?
- Und mit welchen beruflichen Kompetenzen begegneten sie diesen?
Im Vordergrund stand die Perspektive von Migrantinnen:
- Welche Erfahrungen machen sie im Gesundheitswesen?
- Fühlen sie sich gut versorgt?
- Haben sie ausreichende Kenntnisse von Angeboten?
- Und vor welchem Hintergrund treffen sie ihre Entscheidung, Angebote anzunehmen oder abzulehnen?
Über mehr als ein Jahr hinweg begleitete ich vier Frauen im Alter zwischen 27 und 36 Jahren, die aus Italien, Rumänien, Indonesien und Algerien nach Deutschland zugewandert waren. Meine Interviews zeigten, dass sich die befragten Frauen insgesamt während Schwangerschaft und Geburt gut versorgt fühlten, die Angebote des Gesundheitswesens jedoch sehr unterschiedlich wahrnahmen und nutzten. Auch die 14 interviewten Hebammen, die sowohl in Kliniken als auch in der ambulanten Versorgung tätig waren, sahen kaum strukturelle Versorgungsprobleme. Aus ihrer Sicht kennzeichneten vor allem kulturelle Interaktions- und Kommunikationsbarrieren die Arbeit mit Migrantinnen.
Bezugspersonen in der Schwangerschaft
Als wichtige Bezugspersonen in der Zeit des Mutterwerdens wurden von den befragten Frauen Familienmitglieder und Verwandte, Freunde und Freundinnen sowie med. Fachkräfte wie Ärzte und Hebammen genannt. Insbesondere die nicht-professionellen sozialen Netzwerke zeigen sich dabei als sehr komplex. Sie umfassen Familienmitglieder, die auch in Deutschland leben, aber auch im Herkunftsland verbliebene Verwandte. Diese nahen Angehörigen, vor allem auch die Mütter, geben oft über große räumliche Distanzen hinweg Ratschläge bei Problemen in der Schwangerschaft, Hinweise und Tipps für die Geburt und Empfehlungen für die Versorgung des Neugeborenen. Über die Ebene der Verwandtschaft hinaus entwickeln sich vor Ort neue Kontakte, oft zu anderen zugewanderten Frauen. Man lernt sich im Sprachkurs kennen, im ethnischen Kulturverein, in der Religionsgemeinschaft oder der Nachbarschaft. Das verbindende Element ist dabei oft die gemeinsame Mutterschaft. In diesen Netzwerken werden Erfahrungen mit dem hiesigen Gesundheitssystem weitergegeben, ebenso Tipps zur Wahl von Ärzten, Hebammen und Fachkräften, zur Schwangerschaftsvorsorge und zu Kliniken.
Unterstützung durch vielfältige Netzwerke
Für schwangere Migrantinnen spielen demnach transnationale und transkulturelle Netzwerke eine wichtige Rolle. Zugewanderte Frauen bringen nicht nur ihre Erfahrungen aus dem Herkunftsland mit. Sie verfügen außerdem über vielfältige soziale Beziehungen, vor Ort oder weltweit verstreut, die ihr Wissen, ihre Vorstellungen und auch ihre Entscheidungen in der Zeit des Mutterwerdens beeinflussen. Diese Netzwerke sind wichtige Ressourcen, indem sie vielfältige Formen der Unterstützung bieten: emotionale, soziale, ökonomische.
Sie können aber auch zu einer besonderen Herausforderung werden: Die Vielfalt der kulturellen Bezugsebenen und Informationsquellen macht ein stetes Positionieren und bewusstes Auswählen und Entscheiden erforderlich. Die Nicht-Inanspruchnahme von professionellen Präventions- oder Unterstützungsangeboten in der Schwangerschaft oder Säuglingspflege basiert somit nicht immer auf Informationsdefiziten. Sie kann auch als eine aktive Entscheidung verstanden werden, wenn informelle Unterstützungsangebote zur Verfügung stehen oder andere Bedürfnisse vorliegen.
Aus der Perspektive der befragten Hebammen kommt es in der geburtshilflichen Betreuung zum Teil zu interkulturellen Verständigungsproblemen. Entsprechend wünschen sich die Hebammen, mehr kulturspezifisches Wissen, um die Versorgung von zugewanderten Frauen erleichtern und verbessern zu können. Die Erkenntnisse über die vielfältigen kulturellen Einflüsse und Bezugspunkte zeigen jedoch, dass eine transkulturell kompetente Versorgung darüber hinausgehen muss. Auch die sozialen Netzwerke und die migrationsspezifischen Lebenswelten müssen berücksichtigt werden, um eine bedarfsgerechte Unterstützung aufzubauen.
Herausforderungen für die Praxis
Eine wichtige Aufgabe des Gesundheitswesens bleibt dennoch, die Angebotsstrukturen so zu gestalten, dass Frauen tatsächlich die Wahl haben, sie zu nutzen oder nicht. Informationen können dabei auch über informelle Netzwerke an die Zielgruppen herangebracht werden, wie Schulen, Jugendgruppen, Vereine, Nachbarschaftsnetzwerke sowie Sprachkurse und Religionsgruppen. Das Wissen über die Weitergabe von Informationen in sozialen Netzwerken stellt eine Chance dar, neue Informationsstrategien vor allem für schwer erreichbare Bevölkerungsgruppen zu erschließen.
Fachkräfte in Gesundheits- und Sozialdiensten können durch das Einbeziehen sozialer Bezugspersonen Vertrauen zu ihren Klientinnen aufbauen, denn häufig werden Erklärungskonzepte und Behandlungsempfehlungen im sozialen Netzwerk diskutiert und abgewogen. Diese Form der Partizipation muss ermöglicht werden. Es erfordert von Fachkräften ein hohes Maß an Bereitschaft, sich mit vielfältigen Informations- und Wissensebenen auseinanderzusetzen.