11.06.2014
Ungleiche Bildungschancen verstärken Armut
Monitor Jugendarmut 2014 zeigt: Keine Chancengerechtigkeit für Jugendliche bei Bildung und Ausbildung
Silke Starke-Uekermann, Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V.
Schlagwörter:Armut, Bericht, Bildung, Evaluation, Jugendhilfe
Jugendarmut betrifft in Deutschland vor allem junge Menschen mit niedrigem allgemeinen Schulabschluss und ohne Berufsausbildung. Dies ist die zentrale Erkenntnis des Monitors Jugendarmut 2014. Bildung ist der beste Schutz vor Armut, der Zugang zu ihr steht in Deutschland aber nicht jedem Menschen offen.
„Durch die Chancenungerechtigkeit in Schule und Ausbildung verfestigen sich finanzielle, soziale und emotionale Armutsverhältnisse. Die betroffenen Jugendlichen werden damit von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Bildung und Ausbildung sind in Deutschland zu stark von der sozialen Herkunft abhängig. Damit Armut nicht zu einer Erbschaftsfalle wird, brauchen wir ein Recht auf Ausbildung, das gesetzlich verankert wird", sagt Simon Rapp, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit e. V. (BAG KJS).
Der Monitor Jugendarmut ist eine Auswertung aktueller und frei zugänglicher Statistiken und Studien über junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, den die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit e. V. zum dritten Mal herausgibt und der zum 99. Deutschen Katholikentag am 30. Mai in Regensburg vorgestellt wurde.
Keine Wahl auf dem Ausbildungsmarkt
Sich durch einen hohen Schulabschluss und eine Berufsausbildung vor Armut zu schützen, ist in Deutschland nicht allen Jugendlichen gleichermaßen möglich:
„Armut ist erblich, denn sie wird zu oft über Generationen von Eltern an Kinder weitergereicht. Das Risiko, arm zu werden und zu bleiben, steigt mit Migrationshintergrund, Behinderung, Bildungsnot. Dies zuzulassen, ist für unser reiches Deutschland beschämend“, sagt Markus Schnapka, Jugend- und Sozialdezernent der Stadt Bornheim im Monitor Jugendarmut 2014.
Langfristig bilden schulische und berufliche Qualifikation Jugendlicher den besten Schutz vor Armut. Die Quote derjenigen, die eine Berufsausbildung abschließen, steht in einem klaren Zusammenhang mit dem zuvor erlangten Schulabschluss: Unter den jungen Menschen, die die allgemeinbildenden Schulen ohne Hauptschulabschluss verlassen haben, bleiben 61 Prozent ohne Berufsausbildung.
Durch eine abgeschlossene Berufsausbildung verbessern Jugendliche ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich. Allerdings gibt es derzeit auf dem deutschen Ausbildungsmarkt für die Jugendlichen keine wirkliche Wahlfreiheit: Auf 100 Bewerber/-innen entfielen in 2013 nur 88,3 Ausbildungsangebote, während 2012 noch 89,1 Plätze zur Auswahl standen - das Verhältnis zwischen angebotenen und nachgefragten Ausbildungsstellen sinkt trotz der Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt.
Der Monitor zeigt außerdem, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bei gleicher schulischer Qualifikation auf dem Ausbildungsmarkt schlechtere Chancen haben, eine Stelle zu finden: Unter den jungen Menschen mit Migrationshintergrund begannen 2012 lediglich 29 Prozent erfolgreich eine betriebliche Ausbildung - bei den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund waren es immerhin 44 Prozent.
Die Chancenungerechtigkeit wirkt also nicht nur im Bereich der schulischen Bildung, sondern sie begrenzt auch die Möglichkeiten auf dem Ausbildungsmarkt und damit die gesamte Zukunft junger Menschen.
Pfarrer Simon Rapp betont hierzu: „Die Erfahrung, nicht gebraucht und nicht wertgeschätzt zu werden, fördert Motivationslosigkeit und mangelnde Perspektiven. Jugendlichen ohne Ausbildung und qualifizierte Arbeit fehlen Anerkennung, Selbstvertrauen und Orientierung. Unsere Gesellschaft nimmt dadurch dauerhaft und bewusst die Verschwendung von Talenten in Kauf. Deshalb müssen Kirche, Staat und Gesellschaft drohender Jugendarmut entgegenwirken!“
Das Ziel: Jugendarmut verhindern
Die Katholische Jugendsozialarbeit fordert daher
- die gesetzliche Verankerung einer Ausbildungsgarantie,
- die Erweiterung der dualen Ausbildung um das Prinzip der „assistierten Ausbildung“,
- die Aufhebung der verschärften Sanktionen für Jugendliche im SGB II und die Unterstützung Betroffener mit ergänzenden materiellen und immateriellen Hilfen.
Ein Recht auf Ausbildung
Dieses Recht soll vorrangig über betriebliche Ausbildung eingelöst werden. Hierzu sind verbindliche Rahmen- und Finanzierungsbedingungen zu schaffen und gesetzlich zu regeln. Bei Bedarf müssen fehlende betriebliche Ausbildungsplätze durch außerbetriebliche Ausbildungsplätze kompensiert werden.
Die Assistierte Ausbildung
Angesichts der aktuellen Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist es notwendig, die Chancen von allen Jugendlichen auf eine duale Ausbildung zu erhöhen und dafür zu sorgen, dass weniger Jugendliche ihre Ausbildung wieder abbrechen. Vor allem bildungsbenachteiligten jungen Menschen und Jugendlichen, die sich in schwierigen Lebenslagen befinden, bleibt der Zugang zu einem regulären Ausbildungsplatz häufig versperrt. Damit auch Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf eine realistische Chance auf einen regulären Ausbildungsplatz erhalten, muss das System der dualen Ausbildung erweitert werden. Die BAG KJS fordert gesetzliche Regelungen für die Assistierte Ausbildung zu schaffen. Hierbei wird durch die Kooperation von Betrieb, Berufsschule und Einrichtungen der Jugendberufshilfe der Jugendliche individuell unterstützt und gefördert.
Sanktionen aufheben
Die verschärften Sanktionsregeln für unter 25-Jährige sind abzuschaffen, um nicht noch mehr jungen Menschen ihre Existenzgrundlage zu entziehen. Diese Sanktionen sind mit den Prinzipien menschenwürdiger Lebensbedingungen nicht zu vereinbaren. Die BAG KJS unterstützt die Forderung nach Abschaffung des § 31 Absatz 5 SGB II: Damit könnten die Leistungen an Jugendliche nicht mehr komplett gestrichen werden.
Um Jugendliche angemessen unterstützen zu können, bedarf es einer langfristigen und nachhaltigen Finanzierung von Angeboten. Vor allem aber braucht es das Bewusstsein für die Lebenslage betroffener junger Menschen und den gesamtgesellschaftlichen Willen, den Jugendlichen Mut zum selbstständigen Gestalten ihrer Zukunft zu machen!
Die Katholische Jugendsozialarbeit in Deutschland übernimmt eine Anwaltsfunktion für sozial benachteiligte junge Menschen, zu denen auch die von Armut betroffenen gehören, und verleiht ihnen eine Stimme. Mit ihrer Initiative macht sie auf die bestehende Ungerechtigkeit in den (Start-) Chancen junger Menschen aufmerksam und engagiert sich für Veränderungen. In den Einrichtungen und Diensten der Katholischen Jugendsozialarbeit erfahren benachteiligte Jugendliche aktive Unterstützung.
Weitere Informationen und Materialien
Weitere Informationen finden Sie unter www.jugendarmut.info.
Den Monitor Jugendarmut können Sie hier als PDF-Datei herunterladen.
Einen Teil des Interviews mit Pfarrer Simon Rapp können Sie hier nachhören (Download als Audio-Datei 4MB).