Zum Hauptinhalt springen
Logo vom Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit und Site-Slogan: Aktiv für Gesundheit und Chancengleichheit (Link zur Startseite)

02.10.2012

Vielfältige Partizipationsangebote und gesundheitsfördernde Beziehungsarbeit

Kernelemente von kommunalen Präventionsketten

Gesine Bär, Alice-Salomon-Hochschule

Schlagwörter:Kommunen, Netzwerk, Partnerprozess, Prävention, Präventionsketten, Qualitätsentwicklung, Setting, Soziale Stadt, Teilhabe

Gekürzte und weiterentwickelte Dokumentation des Vortrags auf dem Abschluss-Symposium der Forschungsgruppe Public Health des Wissenschaftszentrums Berlin „Partizipation und Gesundheit“ am 23.3.2012.

Kommunale Gesundheitsförderung: Handlungsauftrag und Potenzial

Die Ungleichheiten von Gesundheitschancen, die wir in der Sozial- und Gesundheitsberichterstattung vielfach dokumentiert fin­den, stel­len ei­nen öffentlichen Handlungsauftrag dar, dem sich auch die Kom­mu­ne stel­len muss.

Mit dem Fo­kus auf die lokale Ebe­ne verbindet sich häufig die Er­war­tung, dass komplexe Problemlagen überschaubarer und im direkten Kon­takt der Akteure auch lösbarer wer­den.

Eine gewisse Dy­na­mik erfährt die kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung der­zeit im Verbund mit den „Frü­hen Hilfen“ und den Prä­ven­tions­in­te­res­sen der Jugendämter. Kommunale Präventionsketten sollen von der Zeu­gung bis zur beruftlichen Aus­bil­dung Kin­dern und Ju­gend­li­chen ein gesundes Aufwachsen er­mög­li­chen. Die Städte Monheim und Dormagen in Nordrhein-Westfalen ste­hen hier Mo­dell.

Der bundesweite Ko­o­pe­ra­ti­ons­ver­bund „Ge­sund­heits­för­de­rung bei so­zi­al Be­nach­tei­lig­ten“ hat nun be­gon­nen, diese deut­lich breitere Ba­sis an kommunalen Er­fah­rung­en trans­pa­rent zu ma­chen und im Rah­men des Partnerprozesses „Gesund auf­wach­sen für al­le!“ Kom­mu­nen bei der Ent­wick­lung und Um­set­zung ihrer Stra­te­gien für ein gesünderes Aufwachsen zu be­glei­ten und die Er­fah­rung­en auch für an­de­re Kom­mu­nen zu­gäng­lich zu ma­chen.

Im Rahmen des Ge­sun­de Städte Netzwerks und des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ sind ähn­li­che strategische Handlungskonzepte häufig quartiersbezogen entwickelt worden - und zwar in den Quartieren, die hinsichtlich ihrer So­zi­al­struk­tur, des Städtebaus und der so­zi­alen In­fra­struk­tur als pro­ble­ma­tisch bewertet wurden. Von den Ausgangsbedingungen her gesehen, könnten diese Quar­tiers­an­sät­ze als ei­ne Art La­bor für gesundheitsfördernde Gesamtpolitiken ent­spre­chend der Ottawa-Charta der WHO an­ge­se­hen wer­den. Allerdings ist Ge­sund­heits­för­de­rung in diesen Konzepten bis­lang oft nicht aus­rei­chend behandelt worden.

Welche Partizipationschancen birgt die Quartiersentwicklung?

Wie steht es nun um den speziellen As­pekt der Par­ti­zi­pa­ti­ons­chancen, die im Rahmen von Set­ting-Entwicklungen auf Quar­tiersebene re­le­vant sind? Wir haben es mit ei­ner doppelten He­raus­for­de­rung zu tun:

Zum ei­nen ist die gesundheitsfördernde Stadt­teilentwicklung an die Akteure im Ge­biet ad­res­siert, die sich im Quar­tier pro­fes­si­o­nell oder eh­ren­amt­lich en­ga­gie­ren und die sich in diesen Rol­len in die Entwicklungsprozesse einbinden las­sen.  Zum anderen ist ei­ne wichtige Mo­ti­va­ti­on der Engagements  im Quar­tier, die Chan­cen­gleich­heit vor allem für diejenigen Grup­pen zu verbessern, die die größ­te Gesundheitslast tra­gen je­doch bis­her zu we­nig von Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung pro­fi­tie­ren.

Will man al­so „Stadt­teilakteure“ wie benachteiligte Bevölkerungsgruppen glei­cher­ma­ßen be­rück­sich­ti­gen, müs­sen unterschiedliche Par­ti­zi­pa­ti­onsmöglichkeiten entwickelt wer­den. Dazu muss zu allererst zur Kennt­nis genommen wer­den, dass im Stadt­teil be­reits ei­ne Vielfalt von unterschiedlichen Par­ti­zi­pa­ti­onsangeboten besteht.

Um dies zu il­lus­trie­ren, wurde hier die Stu­fen­lei­ter der Par­ti­zi­pa­ti­on von Michael Wright, Mar­ti­na Block und Hella von Unger (vgl. Wright 2012, S. 96) bei­spiel­haft um Par­ti­zi­pa­ti­onserfahrungen ergänzt, die von Stadt­teilakteuren und Be­woh­ner­schaft im Quar­tier ma­chen kön­nen. Diese wer­den in unterschlichem Ma­ße auch so­zi­al se­lek­tiv wir­ken. Gennerell wird sich aber jedes neue Beteiligungskonzept an den konkreten Vorerfahrungen der Stadt­teilakteure und der anzusprechenden Ziel­grup­pen mes­sen las­sen müs­sen.

Auf der Akteursebene geht es um das Einbeziehen der wichtigen Akteure der lebensweltgestaltenden Bereiche. Es geht um ge­sund­heitsfördernde Quartiersentwicklung im Sinne von „good local go­ver­nan­ce“. Häufig wird in der Um­set­zung da­raus der Versuch, die vorhandenen wohlfahrtsstaatlichen An­ge­bo­te durch Vernetzung bes­ser an die veränderten gesellschaftlichen Re­a­li­tä­ten an­zu­pas­sen. Fraglich bleibt, wel­che Be­din­gung­en auf diese Wei­se kol­lek­tive Res­sour­cen ent­ste­hen las­sen, die zu mehr ge­sund­heit­li­cher Chan­cen­gleich­heit bei­tra­gen kön­nen.

Sampson hat in Er­wei­te­rung des individuellen, psychologischen Merkmals „Selbst­wirk­sam­keits­er­war­tung“ das Kon­strukt der „local efficacy“, der lokalen, kollektiven Selbstwirksamkeit eingeführt. In ei­ner Un­ter­su­chung in Chi­ca­go (8.782 Befragte in 343 Nach­bar­schaf­ten) war die­ses Kon­zept un­ter anderem korreliert mit nie­dri­ge­ren Ra­ten an Ge­walt, weniger Mieterfluktuation und weniger Selbst­mor­den (Sampson et al. 1997). Jedoch ist auch bei der kol­lek­tiven Selbst­wirk­samkeit die institutionelle Per­spek­ti­ve noch nicht berücksichtigt.

Hieran las­sen sich For­schung­en an­knüp­fen, die der Fra­ge nachgehen: Warum gelingt es in manchen Gebieten trotz schlechter Rah­men­be­din­gung­en, bestimmte öffentliche Dienst­leis­tung­en zu er­hal­ten, zusätzliche Res­sour­cen zu ak­qui­rie­ren oder zivilgesellschaftlich getragene Unterstützungsstrukturen aufzubauen? In gesundheitswissenschaftlicher Ana­lo­gie wä­re die­ses Kon­zept von „public control“ ei­ne kollektive Va­ri­an­te von Resilienz bzw. von Antonovskys generalisierten Widerstandsressourcen.

Mehr Teilhabe ermöglichen: Partizipation von benachteiligten und von vulnerablen Bevölkerungsgruppen

Hinsichtlich der verstärkten soziallagensensiblen Beteiligung der Be­völ­ke­rung an der Verbesserung der Gesundheitschancen besteht die Herausforderung da­rin, die schlecht oder gar nicht erreichten Grup­pen einzubeziehen und hierbei ei­ne verstärkte gesellschaftliche Teil­ha­be zu er­mög­li­chen. Da häufig die zu lösenden Probleme gar nicht im Quar­tier entstanden sind, geht es da­rum, un­ter den ent­spre­chend be­grenz­ten Be­din­gung­en Handlungsfähigkeit herzustellen und Freiräume zu schaffen. So­zial­wis­sen­schaft­lich knüpft dies am „Agency Ap­proach“ an (vgl. Franzkowiak et al. 2011, S. 77ff.).

Jedoch sto­ßen auch Partizipationsprozesse im Quar­tier an ih­re Gren­zen, wenn die neu ent­deck­ten Be­dar­fe nicht zum lo­kal zu mo­bi­li­sie­ren­den Handlungsspielraum pas­sen: So lässt  sich ein ers­ter Schwimm­kurs für 10 benachteiligte Kinder mit vereinten Kräften von Sport­amt, Schwimm­ver­ein und Hort auf die Bei­ne stel­len. Aber wer übernimmt diese recht betreuungsintensive Auf­ga­be dau­er­haft für al­le „nachwachsenden“ Nicht­schwim­mer? Wer kann ei­ne gesunde Ver­pfle­gung im Schulalltag ab­si­chern, die über den symbolischen Ap­fel im Quar­tal hinausgeht, den der ortsansässige Obst­an­bau ge­mein­sam mit ei­ner Kran­ken­kas­se den Schü­ler/in­nen im Ge­biet spendiert?

Die sehr heterogenen Fallverläufe im genannten For­schungs­pro­jekt sen­si­bi­li­sie­ren da­für, dass auch gut aufgesetzte Setting-Entwicklungen nicht au­to­ma­tisch zu mehr sozialer Inklusion und ge­sell­schaft­li­cher Teil­ha­be füh­ren. Hans Jo­as formuliert in sei­nem Auf­satz „Un­gleich­heit in der Bürgergesellschaft“ (2001) wichtige Test­fra­gen, die sich auf die hier diskutierte The­ma­tik gut über­tra­gen las­sen:

  • Wer handelt?
  • Wie sind die Entscheidungsstrukturen?
  • Welche und wessen Interessen setzen sich durch?
  • Welche Aufgaben bleiben unerledigt?

Greifen wir die letz­te Fra­ge auf und fra­gen wei­ter: Wie kön­nen die offenen Auf­ga­ben er­le­digt wer­den? Die ehrenamtlichen und zivilgesellschaftlichen Part­ner sind da­mit überfordert und die Kommunalpolitik all­ge­mein und die Gesundheitsverwaltung im speziellen verfügt nicht über die benötigten Mit­tel. Es braucht ein staatliches Be­kennt­nis zur In­ves­ti­ti­on in diese Strukturentwicklungen, ob­wohl „governance“ hier schnell an sei­ne Gren­zen stößt. Für diese Entwicklungsprozesse müs­sen mehr Res­sour­cen frei­ge­macht wer­den, um - et­was po­le­misch gesprochen - über den symbolischen Ap­fel im Quar­tal hin­aus­zu­kom­men. Ein Präventionsgesetz könnte hierfür ei­ne verlässliche Grund­la­ge schaffen.

Gesundheitsförderndes Potenzial der Präventionsketten

Eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung für die pro­duk­tive in­ter­sek­to­ra­le Zu­sam­men­ar­beit ist es, dass sei­tens der Ge­sund­heits­för­de­rung noch stär­ker die ei­ge­nen spe­zi­fi­schen Bei­trä­ge he­raus­ge­stellt wer­den können. Auf diese Wei­se ge­winnt die Prä­ven­tions­ket­te ein eigenes Pro­fil und kann sich deut­lich von der Kin­der­schutz­prob­le­ma­tik ab­gren­zen. Um das Wort­spiel von oben auf­zu­grei­fen, könnten die Ge­sund­heits­för­de­rer da­ran ar­bei­ten, dem Ju­gend­hil­fe­be­reich mit sei­nen umfangreichen Hilfen zur Er­zie­hung (HzE), wirk­same „Hilfen zur Beziehung“ (HzB) so­wie „Hilfen zur Par­ti­zi­pa­ti­on“ (HzP) zur Sei­te zu stel­len. Das wä­re ein wichtiger Bei­trag für ei­ne kommunale Ge­sund­heits­för­de­rung, die sich der ge­sund­heit­li­chen Chan­cen­gleich­heit verpflichtet sieht.

Zurück zur Übersicht