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04.12.2014

„Wegweiser haben wir genug – was wir jetzt brauchen, ist ein Beratungs- und Coaching-Angebot!“

Interview zum 2014 angelaufenen Projekt „Gesundheitsförderung in Lebenswelten“

Petra Kolip, Universität Bielefeld

Schlagwörter:Lebenswelten, Multiplikator*innen, Qualitätsentwicklung

Im Rahmen des von der Bun­des­zen­tra­le für ge­sund­heit­liche Auf­klä­rung (BZgA) geförderten bun­des­wei­ten Projekts entwickelt Prof. Pe­tra Kolip mit ih­rem Team ein Multiplikatorenkonzept, wel­ches Prak­ti­ke­rin­nen und Prak­ti­ker in ih­rer Ar­beit im Be­reich der Qualitätsentwicklung un­ter­stüt­zen soll. Auf­ga­be von Ge­sund­heit Berlin-Brandenburg ist die Er­stel­lung ei­nes Online-Transfer-Konzepts un­ter Beteiligung der Praxisdatenbank Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit und der kommunalen Aus­tauschplattform inforo on­line. Ak­teu­rin­nen und Akteure der Ge­sund­heits­för­de­rung sind schon mit der Ak­tu­a­li­sie­rung der Praxisdatenbank da­zu eingeladen, ih­re Vorgehensweisen in der Qualitätsentwicklung transparenter zu ma­chen und sollen zu­künf­tig vermehrt auch Ge­le­gen­heit­en für praxisnahen Aus­tausch und Un­ter­stüt­zung be­kom­men.

Im Ju­ni 2014 startete das bundesweite Pro­jekt „Ge­sund­heits­för­de­rung in Lebenswelten - Ent­wick­lung und Si­che­rung von Qua­li­tät“, an dem Ihre Ar­beitsgruppe an der Uni­ver­si­tät Bie­le­feld maß­geb­lich beteiligt ist. Warum ist ein solches Pro­jekt aus Ihrer Sicht ge­ra­de zum jetzigen Zeit­punkt not­wen­dig?

Pe­tra Kolip: Die Dis­kus­si­on um die Qua­li­tät gesundheitsförderlicher Interventionen hat in den vergangenen Jahren sehr an Fahrt gewonnen: Dass ich mei­ne Ziele gut de­fi­nie­ren, Ziel­grup­pen klar be­schrei­ben muss, dass ich mei­ne Struk­turen da­rauf­hin überprüfe, ob ich für mei­ne Maß­nah­me gut aufgestellt bin, dass ich die Prozesse im Blick behalte und der Fra­ge nachgehe, ob ich mit mei­nem An­ge­bot auch ei­ne Wir­kung erreiche - das al­les würde heute nie­mand mehr grund­sätz­lich in Fra­ge stel­len. Die Pra­xis wird diesen An­for­de­rung­en in vielfältiger Wei­se ge­recht. Mittlerweile lie­gen zahlreiche, häufig äu­ßerst voraussetzungsvolle In­stru­mente vor, um ins­be­son­de­re die Planungs-, Struk­tur- und Prozessqualität zu si­chern. Zahlreiche Trägerorganisationen ori­en­tie­ren sich an ei­nem sys­te­ma­tischen Qua­li­tätsmanagement. Dabei gibt es deutliche Unterschiede
zwischen den verschiedenen Settings. Die Pra­xis der Qua­li­tätsentwicklung ist - eben­so wie das An­ge­bot an Qua­li­tätsinstrumenten und -verfahren - kleinteilig und un­über­sicht­lich geworden. Der Trans­fer in die Pra­xis ist leichter gesagt als getan. Zudem steht das Prä­ven­ti­onsgesetz mit si­cher ganz neuen An­for­de­rung­en kurz vor der Verabschiedung. Es ist al­so ins­ge­samt ein guter Zeit­punkt, um sich dem The­ma nochmal anzunehmen.

Können Sie uns bit­te kurz um­rei­ßen, wo­rum es bei diesem Pro­jekt geht?

Pe­tra Kolip: Vor ei­ni­gen Jahren haben sich die Ent­wick­lerinnen und Ent­wick­ler von Qua­li­tätsinstrumenten und -verfahren in ei­nem Ar­beitskreis zu­sam­men gefunden. Wir sind sei­ner­zeit zu ei­ner Emp­feh­lung gekommen, die im Kern zwei Struk­turelemente enthielt: Es sollte auf Bun­des­ebe­ne ei­ne Stel­le ge­ben, die die Ent­wick­lung von Qua­li­tätsansätzen sys­te­ma­tisch verfolgt und verbreitet. Die Um­set­zung sollte aber auf Lan­des­ebe­ne er­fol­gen, weil die Pra­xis der Qua­li­tätsentwicklung ja „pas­sen“ muss - und die Bundesländer sind je nach Setting hier sehr un­ter­schied­lich aufgestellt. Auch muss ei­ne wirksame Un­ter­stüt­zung projekt- bzw. interventionsbezogen er­fol­gen. Das Pro­jekt hat das Ziel, den Stand der Qua­li­tätsdiskussion in den Bundesländern zu er­fas­sen, die Qua­li­tät der Ar­beit sichtbar zu ma­chen und zu er­mit­teln, ob und in welcher Form die Ak­teu­rin­nen und Akteure vor Ort Un­ter­stüt­zung ge­brau­chen kön­nen. Uns ist sehr be­wusst, dass die Bedürfnisse und Bedarfe ganz un­ter­schied­lich sind. Die Auf­ga­be des Bie­le­fel­der Teilprojektes ist es u.a., mit ei­nem partizipativen An­satz ein Multiplikatorenkonzept zu ent­wi­ckeln, mit des­sen Hilfe die erforderlichen Kompetenzen passgenau vermittelt wer­den kön­nen.

Welchen kon­kreten Nutzen hat das Pro­jekt für Prak­ti­ke­rin­nen und Prak­ti­ker der Ge­sund­heits­för­de­rung?

Pe­tra Kolip: Mit dem Pro­jekt wird zum ei­nen sichtbar gemacht, dass Pro­jekte schon jetzt die verschiedenen Qua­li­tätsdimensionen be­rück­sich­ti­gen. Da hat sich ja vieles getan und es verdient, nach au­ßen ge­tra­gen zu wer­den. Darüber hinaus kann auch ein Aus­tausch in Gang ge­setzt wer­den, was bei wem un­ter welchen Rah­men­be­din­gung­en funktioniert - und was eben auch nicht so gut klappt. Die An­wen­dung von Qua­li­tätsinstrumenten in der Pra­xis ist ja gar nicht so ein­fach. Wir mer­ken das im­mer an den Fra­gen, die an uns in der Uni Bie­le­feld herange­tra­gen wer­den. Wir füh­ren häufig Fort­bil­dung­en zu In­stru­menten der Qua­li­tätsentwicklung durch. Die Be­tei­lig­ten sind sehr in­te­res­siert, of­fen und neu­gie­rig. Aber wenn es um die kon­krete An­wen­dung geht, haben sie oft den Wunsch, dass sie in den ersten Schritten kon­kret zu ihrem Interventionsansatz be­ra­ten wer­den, weil die Rah­men­be­din­gung­en vor Ort für die An­wen­dung re­le­vant sind. Das bloße Wissen um ein In­stru­ment hilft mir ja nicht un­be­dingt. Im besten Fall wer­den mit dem Pro­jekt solche Un­ter­stüt­zungsstrukturen geschaffen, die Prak­ti­ke­rin­nen und Prak­ti­kern vor Ort tat­säch­lich nüt­zen. Möglicherweise muss auch au­ßer­halb standardisierter Verfahren ge­dacht wer­den und die Selbstevaluationskompetenzen müs­sen in Pro­jekten sys­te­ma­tisch gestärkt und gefördert wer­den.

Im Info_Dienst 3-2011 standen Sie uns schon einmal für ei­nen Bei­trag zur Qua­li­tätsentwicklung in Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung zur Verfügung. Damals konstatierten Sie, dass es kei­nen Man­gel an Konzepten und Leitfäden hinsichtlich Qua­li­tät und Nach­hal­tig­keit gesundheitsförderlicher Maß­nah­men gä­be. Wohl aber diagnostizierten Sie Schwä­chen in den folgenden drei Bereichen:

- Versorgungsanalysen der Prä­ven­ti­on und Ge­sund­heits­för­de­rung,
- Überblicke mit An­ga­ben zur Wirk­sam­keit bestehender Verfahren so­wie
- Be­ra­tung und Schu­lung zum Ein­satz von Qua­li­tätsverfahren (vgl. ebd. S.3).

Wenn ich Sie recht verstehe, schließt das Pro­jekt „Ge­sund­heits­för­de­rung in Lebenswelten“ ins­be­son­de­re beim letztgenannten Punkt an. Wie ist es ins­ge­samt um die Qua­li­tätsentwicklung bestellt? Was hat sich seit­her getan?

Pe­tra Kolip: In den vergangenen Jahren wurde versucht, Prak­ti­ke­rin­nen und Prak­ti­kern die Vielfalt der Qua­li­tätsinstrumente und -verfahren „schmack­haft“ zu ma­chen. Es wurden meh­re­re Weg­wei­ser und Übersichten erstellt, die die In­stru­mente skiz­zie­ren so­wie Vor- und Nachteile trans­pa­rent ma­chen. Dies war si­cher­lich sinn­voll, aber Weg­wei­ser haben wir jetzt ge­nug und für die verschiedenen Qua­li­tätsdimensionen lie­gen brauchbare In­stru­mente vor. Was wir jetzt benötigen, ist ein gesi­chertes Be­ra­tungs- und Coaching-An­ge­bot, das den Trans­fer in die Pra­xis er­leich­tert.

Gestatten Sie mir abschließend noch ei­ne Fra­ge bzgl. der Nach­hal­tig­keit: Wie muss es und wie wird es nach diesem kurzfristigen Pro­jekt wei­ter­ge­hen?

Pe­tra Kolip: Sie haben recht: Das Pro­jekt ist mit kurzem Planungshorizont angelaufen und hat in der ersten Pha­se auch nur we­nig Zeit. Wie es weitergeht, wird si­cher­lich auch von der Aus­ge­stal­tung des Prä­ven­ti­onsgesetzes ab­hän­gen. Die oben skizzierte Kon­zep­ti­on finde ich nach wie vor über­zeu­gend: Eine Koordinationsstelle auf Bun­des­ebe­ne, die die Ent­wick­lung­en beobachtet und aufbereitet, die kon­krete Um­set­zung und Be­ra­tung vor Ort in den Bundesländern, je­weils spe­zi­fisch für die verschiedenen Settings. Das könnte ich mir struk­tu­rell ähn­lich vorstel­len wie die Koordinierungsstel­len Ge­sund­heit­liche Chan­cen­gleich­heit (ehe­mals Regionale Kno­ten). Das war und ist ja ei­ne erfolgreiche Struk­tur. Von solchen Struk­turen ist im Ent­wurf des Prä­ven­ti­onsgesetzes aber noch nicht viel zu le­sen, wie über­haupt den Landesvereinigungen für Ge­sund­heit ei­ne geringe Rol­le im Feld zugesprochen wird. Dies halte ich für ei­nen zentralen Web­feh­ler des Gesetzentwurfes und es bleibt zu hof­fen, dass die­ser in den nächsten Wo­chen noch korrigiert wird.

Herzlichen Dank für das Ge­spräch!

Die Fra­gen stellte Ma­ri­on Amler.

Die Bun­des­zen­tra­le für Ge­sund­heit­liche Auf­klä­rung (BZgA) richtet am 26. Ja­nu­ar 2015 ei­ne Bundeskonferenz zu dem von ihr geförderten Vorhaben "Ge­sund­heits­för­de­rung in Lebenswelten - Ent­wick­lung und Si­che­rung von Qua­li­tät" aus. Im Mit­tel­punkt der Ver­an­stal­tung steht dir Fra­ge, wie die im Rahmen des geplanten Präventionsgesetzes geforderte Stär­kung von Qua­li­tätsentwicklung und -sicherung in der täglichen Pra­xis der Ge­sund­heits­för­de­rung in Lebenswelten verankert wer­den kann

Diskutiert wer­den ins­be­son­de­re aktuelle Ergebnisse aus Be­fra­gung­en von Prak­ti­ke­rin­nen und Praktikern zu ihren Er­fah­rung­en mit Qualitätsentwicklung der Ge­sund­heits­för­de­rung, der Stand gesetzlicher Rah­men­be­din­gung­en so­wie mögliche Konzepte für Trans­fer und Kompetenzentwicklung.

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