09.11.2018
"Wer passt hier nicht zu wem? Sozial benachteiligte und individuell beeinträchtigte junge Menschen und die Förderangebote im Übergang Schule-Beruf"
Eine Zusammenfassung des AGJ-Positionspapieres
Eva-Lotta Bueren , Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ
Schlagwörter:Bildung, Jugendhilfe, Jugendliche, Kinder
Alle jungen Menschen sind beim Aufwachsen mit Anforderungen und Erwartungen konfrontiert, denen sie sich stellen müssen. Die Bewältigung der drei Kernherausforderungen Qualifizierung, Verselbstständigung und Selbstpositionierung, wie sie der 15. Kinder- und Jugendbericht benennt, wird für einen Teil der jungen Menschen durch verschiedene Formen der Benachteiligung erschwert. Zu wesentlichen Benachteiligungen führt die Lebenslage Armut, die eine gesellschaftliche Teilhabe gefährdet und häufig mit Bildungsbenachteiligung einhergeht.
Von welchen Benachteiligungen sind Jugendliche betroffen?
Im § 13 SGB VIII Absatz 1 und 2 werden zwei Arten von Benachteiligungen von jungen Menschen unterschieden: strukturelle soziale Benachteiligung und individuelle Beeinträchtigung. Einige dieser Benachteiligungs- bzw. Beeinträchtigungslagen sind: unsichere Zukunftsaussichten sowie das Fehlen von sozialer Anerkennung und Erfahrungen der eigenen Stärke und Handlungsfähigkeit. Jeder fünfte junge Mensch wächst in Deutschland in Armut auf und ist somit einer Bildungsbenachteiligung, fehlender gesellschaftlicher Teilhabe, höheren Gesundheitsrisiken, materiellen Entbehrungen, Diskriminierung und einem beständigen „existenziellen Druck“ ausgesetzt.
Gefährdungen und fehlende Ressourcen in der Herkunftsfamilie
Aufgrund ihrer sozialen Situation und der Bildungsvoraussetzungen der Eltern sind einige Familien nicht in der Lage, ihre jugendlichen Kinder hinreichend zu fördern, in ihrem Übergangsweg zu bestärken, oder ausreichende emotionale Unterstützung zu leisten Einige Jugendliche haben keinen Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie und leben in wechselnden Unterkünften, meist ohne ein gut funktionierendes Unterstützungssystem.
Fluchterfahrungen
Die Situation geflüchteter Jugendlicher ist häufig geprägt von Traumatisierung, der Erfahrung fehlender Zugehörigkeit sowie aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit und damit einhergehender unmittelbarer Existenzängste. Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, kommt der fehlende familiäre Halt als Problembelastung hinzu.
Welche Antworten hat die Kinder- und Jugendhilfe und insbesondere die Jugendsozialarbeit?
Es ist insbesondere Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, junge Menschen dabei zu unterstützen, alterstypische Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Im Zentrum des Jugendhilferechts stehen die Förderung der Entwicklung der Persönlichkeit und die Stabilisierung der sozialen und psychischen Entwicklung. Für junge Menschen, deren „altersgemäße gesellschaftliche Integration nicht wenigstens durchschnittlich gelungen ist“ und die bei ihrer beruflichen und bei ihrer „sozialen Integration besonderer Förderungs- und Vermittlungsbemühungen bedürfen“, wurde der § 13 zur Jugendsozialarbeit als eigenständiger Bereich zwischen den erzieherischen Hilfen und der Kinder- und Jugendarbeit geschaffen. Jugendsozialarbeit enthält Elemente aus beiden Handlungsfeldern, zielt aber vorrangig darauf ab, benachteiligte junge Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf zu unterstützen.
Es ist zu beobachten, dass ein Teil der Jugendämter Leistungen nach § 13 SGB VIII in geringem Umfang oder gar nicht anbietet. Junge Menschen mit entsprechendem Förderbedarf werden stattdessen in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (SGB III) vermittelt oder an die Jobcenter (SGB II) verwiesen. Da diese Maßnahmen andere Zielstellungen haben, bleibt eine Förderung mit Hilfe der professionellen Instrumente der Jugendhilfe den betroffenen Jugendlichen oft vorenthalten
Die Jugendsozialarbeit kann den Jugendlichen sowohl ganzheitliche Förderung und verlässliche Beziehungen als auch eine Stabilisierung durch niedrigschwellige Angebote bieten. Eine Stabilisierung der Jugendlichen steht im Mittelpunkt der Förderung, die nur über ein professionelles und stabiles Beziehungsangebot gelingen kann. Diese Beziehung bildet den Ausgangspunkt für konkrete Schritte mit entsprechenden Hilfen.
Welcher Änderungen bedarf es?
Arbeitsförderung, Grundsicherung für Arbeitssuchende und Jugendsozialarbeit weisen eine Schnittmenge bei ihren Zielgruppen auf, verfolgen jedoch unterschiedliche Ziele: Verkürzung der Arbeitslosigkeit und Beendigung des Leistungsbezuges stehen einer umfassenden Förderung und Stärkung junger Menschen zur gesellschaftlichen Teilhabe gegenüber. Da die Arbeitsförderung ihre Angebote stark standardisiert hat und die Vergabeunterlagen für Jugendlichen-Maßnahmen von der Bundesagentur für Arbeit zentral erstellt werden, sind diese für die individuellen Bedarfe vieler benachteiligter Jugendlicher nicht immer passfähig.
Zusammenarbeit der Rechtskreise muss verbessert werden
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit sind grundlegend formuliert. Leider beschränkt sich die Zusammenarbeit in der Praxis oft darauf, dass jeder Träger nach einem Sozialgesetzbuch in seinem Rechtskreis agiert und Kooperationen nur auf dem Wege des Kombinierens einzelner Maßnahmen der jeweiligen Rechtskreise entstehen. Eine ganzheitliche Begleitung von Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf setzt jedoch gemeinsame Planungen von Förderangeboten und eine gemeinsame Durchführung voraus. Jugendberufsagenturen setzen hier an, werden jedoch in der Praxis unterschiedlich umgesetzt.
Vernetzung der Systeme verbessern
Grundsätzlich müssen deshalb Unterstützungsangebote zur Förderung benachteiligter Jugendlicher noch stärker vernetzt gedacht werden. Nur in einem guten Zusammenspiel aller Systeme und Rechtskreise, mit denen der oder die Jugendliche in Berührung kommt (Jugendhilfe, Gesundheitssystem, Justiz, Schule etc.), kann eine nachhaltige, passgenaue Hilfeleistung erfolgen.
So sollten Entscheidungen über die Unterstützung junger Menschen an deren Bedarfen und auf der Grundlage pädagogischer Erkenntnisse getroffen werden; fiskalische Gesichtspunkte dürfen nicht entscheidungsleitend sein. Die Jugendsozialarbeit sollte hier bewusster und klarer mit ihrer Verantwortung umgehen. In diesem Zusammenhang sollte auch der Anspruch auf Hilfen für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) verbindlicher ausgestaltet werden.
Die AGJ sieht daher u.a. folgende Handlungsbedarfe:
- Es bedarf einer dauerhaften finanziellen Ausstattung der Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII in allen Jugendamtsbezirken.
- Im Rahmen einer SGB VIII-Reform solle zudem seitens des Bundesgesetzgebers sichergestellt werden, dass die Angebote der Jugendsozialarbeit (und der Jugendarbeit) einen verbindlicheren Charakter erhalten, der gewährleistet, dass auf örtlicher Ebene die Bedarfe ermittelt und entsprechend finanziert werden.
- Es soll ein fachlicher Diskurs in der Kinder- und Jugendhilfe zur Ausgestaltung des § 13 SGB VIII stattfinden und erörtert werden, ob der § 13 SGB VIII stärker präventiv ausgerichtet werden und weniger strikt auf den unmittelbaren Übergang von der Schule in den Beruf orientiert sein soll.
- Die Förderangebote des SGB II und III der Berufsschulen für junge Menschen im Übergang Schule-Beruf müssen individueller gestaltbar sein, stärker auf die Ressourcen und die Wünsche der Jugendlichen ausgerichtet werden und mehr Freiräume zur persönlichen Entwicklung, aber auch zur Umentscheidung vorhalten. Um dies zu leisten, müssen die Förderangebote mit intensiverer sozialpädagogischer Begleitung ausgestattet werden.
- Auf kommunaler und regionaler Ebene sollen Berichte zur Bildungs- und Ausbildungssituation, zur Lebenssituation von Familien, aber auch von Jugendlichen in der Region erarbeitet und gemeinsam evaluiert werden.
Durch eine Umsetzung der Handlungsempfehlungen und einer starken Jugendsozialarbeit, können Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen nachhaltig und individuell unterstützt werden. Die sozialpädagogischen Angebote der Jugendsozialarbeit tragen zur Chancengleichheit dieser Jugendlichen bei. Denn: Will eine Gesellschaft Chancengleichheit verwirklichen, so muss sie die Voraussetzungen für gleichberechtigte Teilhabe schaffen. Die Jugendsozialarbeit kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.