19.03.2012
Wie geht´s? Gesundheitsförderung in der Sozialen Stadt
Tagungsbericht
Christine Volk-Uhlmann, bis Mitte 2013: Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart
Schlagwörter:Fachtagung, Migration, Prävention, Setting, Soziale Stadt, Sozialraum, Stadtentwicklung
Lange gesund zuhause leben - ob dieser Wunsch erfüllbar ist, hängt auch von der sozialen Lage ab. Soziale Benachteiligung und gesundheitliche Probleme sind vielfach miteinander verbunden. Langjährige harte körperliche Arbeit, materielle Sorgen, Armut auch in einem weiten Sinne, ungünstige Wohnverhältnisse, wenig förderliches Gesundheitsverhalten und andere Belastungen summieren sich im Laufe der Lebensjahre. Mangel an sozialen Netzen und an Bildungsgelegenheiten schränken zugleich die Chancen ein, gesundheitliche Probleme zu bewältigen, vorhandene Angebote der Gesundheitsversorgung und -förderung zu nutzen und mit Lebensmut und Lebenszufriedenheit dem Alter entgegenzusehen.
Soziale und gesundheitliche Ungleichheit prägt sich auch räumlich aus. Soziale, gesundheitliche und städtebauliche Problemlagen treten in bestimmten - benachteiligten - Stadtteilen besonders zutage. Um Lebensbedingungen und Lebenschancen in solchen "Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf" zu verbessern, wurde 1999 das Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" aufgelegt. In den Programmgebieten hat man seither mit dem quartiersbezogenen Handlungsansatz, der breiten Beteiligung und der Organisation durch das Quartiersmanagement gute Erfahrungen gemacht und viel Neues auf den Weg gebracht. Ein Integriertes Entwicklungskonzept verbindet unterschiedliche kommunale Handlungsfelder und bündelt die Kräfte aller Beteiligten in einem Quartier.
In diesem Rahmen findet das Thema Gesundheit erst in letzter Zeit verstärkt Beachtung und Ältere rangieren als Zielgruppe deutlich hinter Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Dabei sind Gesundheitsförderung und soziale Stadtentwicklung nicht nur durch Thema und Ziele eng miteinander verbunden, sondern auch durch das integrierte, fach- und ressortübergreifende, quartiersbezogene Vorgehen, den doppelten Blickwinkel (Verhältnisse und Verhalten in der Gesundheitsförderung, investive und nicht-investive Maßnahmen in der Stadtentwicklung), die Bedeutung von Netzwerken, die Ausrichtung auf Prävention, die Orientierung an Ressourcen und Selbsthilfekräften statt nur an Defiziten. Die Menschen vor Ort sollen selber die hauptsächlichen Akteure der Entwicklung sein - engagierte Einzelne, Vereine, Initiativen, Kirchengemeinden, öffentliche Einrichtungen und die Wirtschaft im Quartier. Es gilt also, sie zu gewinnen und zu unterstützen und allen Gruppen der Bevölkerung umfassende Teilhabe in allen wichtigen Lebensbereichen zu ermöglichen.
Trotz der vielen Gemeinsamkeiten ist die strukturelle Verknüpfung dieser beiden Ansätze noch verbesserungsfähig. Aus diesem Grund wurde am Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg das Programm "Wie geht's? Gesundheitsförderung in der Sozialen Stadt" entwickelt. Es soll unterschiedliche Handlungsstränge und Ressorts - Soziale Stadtentwicklung, Gesundheitsförderung und bürgerschaftliches Engagement - mit ihren jeweiligen Blickwinkeln, Erfahrungen und Kompetenzen zusammenbringen und füreinander nutzbar machen.
Hierzu wurden Projekte gesucht, mit dem Ziel, die Gesundheit sozial benachteiligter insbesondere älterer Menschen zu fördern, geeignete Qualifizierungen zu entwickeln und sozialraumorientierte Gesundheitsförderung in der Sozialen Stadt systematisch zu verankern. Gemeinsame Ziele sind, gesunde Umgebungen zu schaffen, Selbsthilfe stärker einzubinden und die Gesundheit sozial benachteiligter insbesondere älterer Menschen zu fördern. In Karlsruhe-Mühlheim, Mannheim Neckarstadt und Stuttgart-Giebel wurden Projekte gefördert, die neue strategische Ansätze entwickeln und umsetzen und/oder vorhandene Ansätze neu auf dieses Ziel hin ausrichten.
Am 15.2.2012 veranstaltete der Regionale Knoten Baden-Württemberg - angesiedelt am Landesgesundheitsamt BW - eine Fachtagung zum Praxistransfer der Ergebnisse aus den drei Modellprojekten. Eingeladen waren Akteure und Entscheidungsträger aus der Sozialen Stadt, aus der Stadtteil- bzw. Quartiersentwicklung sowie der Gesundheitsförderung / öffentlicher Gesundheitsdienst aber auch aus den Bereichen
- Stadtplanung
- Altenhilfe
- Bürgerschaftliches Engagement
- Sport und Bewegung
- Migranten(selbst)organisationen
- Seniorenräte
- Wohlfahrtspflege
- Krankenkassen
- Politik
- Ärzteschaft / geriatrische Zentren
und weitere Interessierte. Ein Blick in die Liste der Teilnehmenden zeigte, dass tatsächlich rund 60 Vertreter aller Zielgruppen der Einladung gefolgt waren.
Nach einführenden Worten von Herrn Dr. Wuthe (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg) und Frau Mannhart (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen Baden-Württemberg) stellte Frau Dr. Postel das Förderprogramm „Mittendrin“ des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg vor. Das Programm richtet sich insbesondere an Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund und will diese verstärkt für Bürgerschaftliches Engagement gewinnen. Mit dem Programm sollen auch Freiwillige angesprochen werden, die sich bisher nicht engagiert haben und die bereit sind, ihr Wissen und ihr Engagement verbindlich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten mit einer wöchentlichen Mindesteinsatzdauer von etwa fünf Stunden für ein Projekt zur Verfügung zu stellen. Das Sozialministerium fördert mit 300.000 Euro jährlich die Fachberatung von Projektträgern, die Grundausstattung von Projekten und die Qualifizierung der bürgerschaftlich engagierten Freiwilligen. Die Träger können auf Antrag bis zu 4.000 Euro für ihr Projekt und bis zu 1.000 Euro für Qualifizierungsmaßnahmen erhalten.
Im Anschluss stellte Gabriele Steffen von WEEBER + PARTNER, Institut für Stadtplanung und Sozialforschung die Ergebnisses der externen Evaluation des Programms insgesamt wie auch der einzelnen Modellprojekte vor.
- Gesundheitsförderung und Soziale Stadt haben viele Schnittpunkte, z. B. die Verbesserung von Lebensbedingungen und Lebenschancen, ein integriertes, fach- und ressortübergreifendes Vorgehen und den sozialraumorientierten Ansatz sowie partizipatives Vorgehen.
- Da sozial benachteiligte Menschen oft in Gebieten der Sozialen Stadt leben, ist ein Zugang zu dieser Gruppe in den Programmgebieten auch räumlich erleichtert.
- Die Strategie, nicht schon bei der Bewerbung eine detaillierte Konzeption vorlegen zu müssen, sondern diese im Verlauf des Projekts gemeinsam mit den anderen Projektverantwortlichen weiterzuentwickeln, war sehr sinnvoll.
- Es ist sinnvoll, an bereits Vorhandenem anzudocken, was auch bedeutet, dass Modellprojekte nicht automatisch immer bei Null anfangen müssen.
- Die Kombination aus Logbuch und Selbstevaluation hilft den Projektträgern bei der Erstellung von Berichten. Die externe Evaluation ermöglicht - ebenso wie der Austausch mit den anderen Projektverantwortlichen - einen Blick von außen und gibt Feedback, hilft bei der Strukturierung und ermöglicht Beratung.
- Für die Modellprojekte bedeutet eine Förderung neben der materiellen Unterstützung auch Wertschätzung, Austausch und Herausforderung und ist Anlass, eigene Ideen zu strukturieren.
- Die Projektträger haben unterschiedliche Herangehensweisen und Möglichkeiten, Gesundheitsförderung in der Sozialen Stadt zu verankern. Dadurch resultieren auch unterschiedliche Perspektiven im Bezug auf die Nachhaltigkeit von Projekten.
Noch unbeantwortet sind folgende Fragen
- Wie können Gruppen angesprochen und für eine Mitwirkung gewonnen werden (z. B. Migrantinnen und Migranten)
- Wie lässt sich aus den Ergebnissen von Bedarfserhebungen die tatsächliche Nutzung entwickelter Angebot besser voraussagen
- Wie kann man die Gruppe derjenigen, die von außerhäuslichen Angeboten am meisten profitieren würde, erreichen
- Wie lassen sich niedrigschwellige Angebote finanzieren
- Darüber hinaus empfiehlt es sich, verstärkt Kontakt zu den Unterstützungsstrukturen des Bürgerschaftlichen Engagements auf Landesebene zu suchen und auch in anderen Ressorts um Unterstützung für die Programmgebiete zu werben.
Nach der Mittagspause präsentierten die Projektverantwortlichen jeweils die Ziele und den Zielerreichungsgrad ihrer Projekte sowie die von ihnen erarbeiteten, auf andere Standorte übertragbaren Bausteine. Die Schwerpunkte des von einer Wohnungsbaugesellschaft durchgeführten Karlsruher Projekts lagen in der systematische Bedarfs- /Bestandsermittlung und in der Unterstützung außerhäuslicher Aktivitäten. Das Projekt in Mannheim - durchgeführt von einem freien Träger (Paritätischer) - konzentrierte sich auf die Qualifizierung für Gesundheitsförderung für Nachbarschaftshelferinnen sowie Migrantinnen und Migranten und das Stuttgarter Projekt, das in der Hand des Stadtteilmanagements lag, zielte in erster Linie auf die strategische Verankerung von Gesundheitsförderung in der Sozialen Stadt.
Im Rahmen ihrer Arbeit entwickelten die Projekte folgende übertragbare Bausteine:
- Fragebogen zur Bedarfsermittlung
- Broschüren / Wegweiser zu vorhandenen Angeboten
- Hausbesuche
- Spaziergänge
- Begleitung
- Bewegungsangebote in der Wohnung
- Bewegungsangebote an öffentlichen Orten
- Erzählcafé und andere Ansätze zur Biografiearbeit
- Sturzprophylaxe
- Mittagstisch
- Aktionstag
Zum Ende der Tagung stellte Gerald Lackenberger das „Bündnis Soziale Stadt Baden-Württemberg“ vor. Ziel des Bündnisses ist es,
- die Erfolge des Programms „Soziale Stadt“ zu sichern
- den sozialen Konflikten, der sozialen Entmischung (Segregation) und der krisenhaften Entwicklung in Wohngebieten zu begegnen
- die Verstetigung von Projekten, auch in der Gesundheitsförderung und Prävention, zu erreichen
- an den Überlegungen zu alternativen Fördermöglichkeiten mitzuarbeiten
- den Dialog mit der Landesregierung zu führen
- für die Fortführung des Programms „Soziale Stadt“ in seiner ursprünglichen Konzeption mit Modellvorhaben im Land und im Bund einzutreten
- Die Evaluation des Programms „Wie geht´s? Gesundheitsförderung in der Sozialen Stadt“ und die Dokumentation der Tagung können hier abgerufen werden.