24.09.2018
"Zwischen Tradition und Zukunft in Thüringen"
Das Projekt Landengel stellt sich vor
Christopher Kaufmann, Stiftung Landleben
Schlagwörter:Gesundheitsversorgung, Ländlicher Raum, Strukturaufbau, Ältere
„In unserer heutigen Zeit wird es immer schwieriger, auf dem Land glücklich, zufrieden und nicht allein, alt zu werden. Denn die Auswirkungen eines umfassenden demografischen Wandels werden hier im ländlichen Raum mit besonderer Dynamik wirksam. Dies stellt ein zunehmendes Problem in unseren Dörfern dar. Gerade unser ländlicher Raum kann immer weniger auf Hilfe von außen hoffen. Es braucht deshalb ein regionaltypisches Profil, das Herausarbeiten von besonderen Stärken und ein gutes Zusammenspiel der örtlichen Akteure. Das Motto muss sein, eine Kooperation als Gegenstrategie zur globalen Konzentration zu schaffen.“
Fehlende Perspektiven für Bedürftige und Ältere
Bereits jetzt sehen sich viele ältere Menschen in ländlichen Regionen in Thüringen mit der Frage konfrontiert: „Wer kümmert sich um mich, wenn ich es selbst nicht mehr kann?“. Für die jüngere Generation, so scheint es, gibt es wenig Anreiz, langfristig auf dem Dorf zu leben. Es zieht sie in Städte, wo es mehr Arbeitsplätze gibt und sie vermutlich auf einen höheren Verdienst hoffen. Damit verbunden ist ein weiteres Problem: Die mittlere Generation muss mehr Verpflichtungen übernehmen, das heißt, dass sie in ihrer „Sandwich-Position“ eine Mehrfachbelastung aus Berufstätigkeit, Familienaufgaben und Pflegetätigkeit koordinieren muss. Persönliche Wünsche und Ziele treten dabei in den Hintergrund. Das kann auf Dauer zur physischen und psychischen Belastung der Familie und vor allem von pflegenden Angehörigen führen. Somit ist oft die einzige Lösung, dass ältere Menschen ihr gewohntes Umfeld verlassen und in ein Pflegeheim einziehen müssen.
Eine gemeinsame Vision
Die Stiftung „Landleben“ verfolgt mit dem Projekt „Landengel“ ein ambitioniertes Ziel: den Menschen in der Region Seltenrain im Unstrut-Hainich-Kreis in Thüringen soll ein besserer Zugang zu einer örtlich integrierten Gesundheitsversorgung einräumt werden. Grundlegend werden mit dem Vorhaben alle Bürgerinnen und Bürger der Region angesprochen. Insbesondere möchte „Landengel“ aber Menschen mit einer chronischen Erkrankung und vereinsamten oder isoliert lebenden älteren Menschen eine Perspektive bieten, in dem sie wieder stärker am Alltagsleben teilnehmen und früher auf Veränderungen ihres Gesundheitszustandes reagieren können. Zudem möchte man der sogenannten „mittleren Generation“, die zwischen Berufsleben und der Pflege eines Angehörigen steht, eine Ansprechperson sein und Hilfestellungen bieten.
Aufbau einer regionalen Wertschöpfungskette
„Nur in einem ganzheitlichen Konzept kann die Betreuung durch Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und andere Dienstleistende auf den Betroffenen so abgestimmt werden, dass die besten Ergebnisse bei optimalem Ressourceneinsatz erzielt werden können.“
Das Projekt setzt auf multiprofessionelle Zusammenarbeit sowie auf die Bündelung sozialer und ökonomischer Ressourcen in der Region. Vor Ort werden medizinische, therapeutische und pflegerische Leistungen vernetzt und niedrigschwellig zugänglich gemacht. 17 Unternehmen sind bereits in einer Kooperation zusammengewachsen. Darunter befinden beispielsweise ein Gesundheitszentrum, eine Psychologin, eine Podologin, eine Zahnarzt- und Hebammenpraxis, die Landfactur und eine Agrargenossenschaft als Lebensmittelproduzenten, der THEPRA Landesverband für Jugendhilfe und Sozialarbeit, als Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband und ein Haar- und Kosmetikstudio. Ebenso konnten wichtige strategische Partnerinnen und Partner, wie zum Beispiel der Landrat des Unstrut-Hainich Kreises, die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen, sowie die Thüringer Aufbaubank gewonnen werden.
Mit dem Bau eines sogenannten Landambulatoriums entsteht in Kirchheilingen ein Ort, wo ganzheitliche Gesundheitsversorgung aus einer Hand mit den regionalen Dienstleistern generiert werden wird. Dort sollen die Physiotherapie, die Podologie, die Hausärztin, der Mund-Kiefer-Gesichtschirurg, die Hebamme und der Dorfkümmerer zentral unter einem Dach zu finden sein. Die IBA Thüringen konnte als Partner für dieses Vorhaben gewonnen werden und unterstützt bei der Planung und Konzipierung des Landambulatoriums. Der Bau ist für 2020 geplant.
In einem weiteren Schritt soll es möglich sein, die Situation der Betroffenen vor Ort besser einzuschätzen. Wie wohnt die jeweilige Person? Wodurch ist ihre familiäre Struktur gekennzeichnet? Welche Unterstützung erhält sie zurzeit? Wo kann von außen unterstützt werden, damit die Person nicht die Häuslichkeit verlassen muss? Um diese Fragen beantworten zu können, werden in den kleineren Orten "Gesundheitskioske" eingerichtet. Dort nimmt sich ein sogenannter „Dorfkümmerer“ - ein Sozialmanager -den Bedürfnissen älterer Bewohnerinnen und Bewohner an. Er bietet Sprechstunden an und kann dabei auf ein Netzwerk aus sozialen Diensten im Gesundheits- und Pflegebereich zurückgreifen. Beispielsweise bereitet er einmal wöchentlich eine Sprechstunde gemeinsam mit dem Bürgerservice des Landratsamtes vor. Die Gesundheitskioske sind ungefähr 60 qm große Neubauten, die mit einem Beratungszimmer, Büro, WC, Kaffeezeile ausgestattet sind. Diese sind gut erreichbar, barrierefrei und zentral im Ortskern integriert. So kann die Infrastruktur in Kirchheilingen und in den kleinen Gemeinden erhalten, verbessert und ausgebaut werden.
Zukünftig sollen Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner im Landambulatorium durch den Einsatz einer examinierten Pflegefachkraft mit Telemedizinarbeitsplatz die entlastet und unterstützt werden. Die ausgebildete Pflegefachkraft, die vor Ort „Gemeindeschwester“ genannt wird, besucht Patientinnen und Patienten regelmäßig und kann so ihren Gesundheitszustand beobachten. Bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann während eines Besuches die Ärztin über die Telemedizinschnittstelle dazu geschaltet werden und somit schneller entgegenwirken. Planmäßig soll der bereits umgesetzte kostenlose Fahrservice für Arzttermine, Friseurbesuche oder organisierte Einkaufsfahrten, um Fahrten zu Facharztsprechstunden erweitert werden. So kann der Transport besser auf die Bedarfe der älteren Menschen vor Ort abgestimmten werden.
Wünschenswert wäre es, künftig noch mehr regionale und überregionale Akteurinnen und Akteure für das Projekt „Landengel“ gewinnen zu können. So wäre es denkbar, weitere Haus- und Facharztpraxen in den Verbund einzubauen sowie einen festen Pflegedienst und ein Klinikum in die Organisation aufzunehmen. So ließe sich die ambulante und stationäre Versorgung der älter werdenden Menschen in den Dörfern noch weiter absichern.